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In der entscheidenden Sitzung des Bundesrats vom 25. Mai 1870 er—
klärte Geheimer Rat v. Könneritz, daß die sächsische Regierung, obgleich sie an
und für sich weitere Ausdehnung der Kompetenz des Bundes-Oberhandelsgerichts
nicht wünsche und derselben prinzipiell entgegen sei, doch im vorliegenden Falle
wegen der Zweckmäßigkeit der Sache und mit Rücksicht auf die in Sachsen
bereits bestehenden Verhältnisse im § 32 kein Hindernis finde, dem beregten
Gesetzentwurfe ihre Zustimmung zu erteilen..) Der Bevollmächtigte für beide
Mecklenburg erklärte, daß seine Regierungen bereit sein würden, der jetzigen
Fassung zuzustimmen, hieran jedoch durch den vom Reichstag beschlossenen § 32
zu ihrem Bedauern verhindert würden. Es sei dem Bundesrat bekannt, wie
die mecklenburgischen Regierungen sehr ernste Bedenken gegen die Errichtung
des Oberhandelsgerichts gehegt und dabei namentlich die Besorgnis zur Sprache
gebracht hätten, daß durch die neue Institution die Zuständigkeit der den ein-
zelnen Ländern angehörigen obersten Gerichtshöfe beschränkt und nach und nach
untergraben werden würde. Diese Besorgnis finde bereits jetzt eine nach dem
Dafürhalten des Bevollmächtigten an und für sich wie in ihren Konsequenzen
sehr bedenkliche Bestätigung. Die Ueberweisung der aus dem Gesetze fließenden
Rechtsstreitigkeiten, wie der nach dessen Bestimmungen zu beurteilenden Straf-
sachen an das Oberhandelsgericht begründe nicht nur für letzteres eine bei
dessen Errrichtung nicht vorgesehene Zuständigkeit, sondern entziehe zugleich den
höchsten Landesgerichten einen Teil derselben, anscheinend ohne nachweislichen
Grund. Und dieses Vorgehen sei um so bedenklicher, als der betreffende Be-
schluß erst in dem allerletzten Stadium der Verhandlung und Beratung gefaßt
und fast gleichzeitig analoge Bestrebungen im Reichstag hervorgetreten seien.
*) Es bestätigte sich demnach, daß auch bei dieser Gelegenheit die sächsische Regierung
ernstlich bemüht war, sich gegen jede Ausdehnung der Kompetenz des von ihr selbst ins
Leben gerufenen Bundes-Oberhandelsgerichts zu verwahren. Mit welchen Gründen sie schließ-
lich ihr Bedenken vor sich selbst beschwichtigte, darüber gab eine offiziöse Note des „Dresdener
Journal“ Auskunft, welche nicht zugestehen wollte, daß eine Vorstellung der Leipziger
Buchhändler die Regierung von ihrem Widerstande zurückgebracht habe. Das „Dresdener
Journal“ sagte: „Gewiß wird die sächsische Regierung bei den Beratungen im Bundes-
rate über das erwähnte Gesetz das Interesse, welches der Leipziger Buchhandel an seinem
Zustandekommen hat, nicht außer acht gelassen haben; das entscheidende Motiv für ihre
Entschließung hat aber der Umstand abgegeben, daß nach der Vorschrift in § 8 sub 7
der Ausführungsverordnung zu dem Handelsgesetzbuche vom 30. Dezember 1861 Streitig-
keiten über das Urheberrecht in Sachsen der Kompetenz der Handelsgerichte zugewiesen
sind und daher den Bestimmungen in § 13 des Bundesgesetzes, betreffend die Errichtung
eines obersten Gerichtshofs für Handelssachen vom 12. Juni 1869, zufolge Streitigkeiten
der gedachten Art hierlands ohnehin in letzter Instanz bei dem Bundes-Oberhandelsgericht
zur Entscheidung zu gelangen haben würden.“ Man hat also schließlich gemeint, da schon
nach sächsischem Rechte die Nachdruckssachen als Handelssachen behandelt sind, so ändere
die Unterstellung derselben unter das Bundes-Oberhandelsgericht eigentlich nichts an der
Kompetenz des letztern.