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Rechten eines Nachbarvolkes verpflichtet zu sein, zu dulden, daß „eine fremde
Macht“, indem sie einen ihrer Prinzen auf den Thron Karls V. setze, zum
Nachteile Frankreichs das gegenwärtige Gleichgewicht der Kräfte in Europa
stören und das Interesse und die Ehre Frankreichs gefährden dürfe.
Nach einer solchen Erklärung war der Herr Botschafter nicht mehr in der
Lage, Aufklärungen nach Paris gelangen zu lassen. Sein dortiger Vertreter
wurde am 9. d. M. von der Sachlage in Kenntnis gesetzt, wie sie schon am
4. dem Herrn Geschäftsträger Frankreichs hier bezeichnet war. Die Angelegen-
heit, wurde ihm gesagt, geht nicht Preußen und Deutschland, sondern nur
Spanien und dessen Thronkandidaten etwas an. Die Verhandlungen mit dem
letzteren hat der Marschall Prim direkt führen lassen. Seine Mcjestät der König
von Preußen habe aus Achtung für den Willen Spaniens und des Prinzen
eine Einwirkung auf diese Verhandlungen weder üben wollen noch geübt und
daher diese Kandidatur weder befördert, noch vorbereitet.
Inzwischen hatte die kaiserlich französische Regierung ihren auf Urlaub in
Wildbad weilenden Botschafter bei Sr. Moajestät und dem Bunde beauftragt,
sich nach Ems zu begeben. Herr Graf Benedetti wurde am 9. Juli von Sr.
Majestät wohlwollend empfangen, obschon der Aufenthalt des Königs im Bade
und die Abwesenheit aller Minister geschäftliche Anforderungen an Se. Maje-
stät auszuschließen schienen. Die Mitteilungen des Botschafters stimmten mit
den Eröffnungen überein, welche der Herr Duc de Gramont dem Herrn Frei-
herrn v. Werther gemacht hatte; er appellirte an die Weisheit Sr. Majestät,
um durch ein an den Prinzen zu richtendes Verbot das Wort zu sprechen,
welches Europa die Ruhe wieder gebe. Es wurde ihm erwidert, daß die Un-
ruhe, von welcher Europa erfüllt sei, nicht von einer Handlung Preußens,
sondern von den Erklärungen der kaiserlichen Regierung im Corps législatif
herrühre. Die Stellung, welche Se. Majestät der König als Familienhaupt
zu der Frage eingenommen, wurde als eine außerhalb der Staatsgeschäfte
liegende bezeichnet, und eine jede Einwirkung auf den Fürsten und den Prinzen
von Hohenzollern, als ein Eingriff in deren berechtigte freie Selbstbestimmung,
abgelehnt.
So war es dann auch ein Akt freier Selbstbestimmung, daß der Erbprinz
am 12. d. M. im Gefühle der Verantwortlichkeit, welche er, der eingetretenen
Sachlage gegenüber, durch die Aufrechthaltung seiner Kandidatur übernommen
haben würde, dieser Kandidatur entsagte und der spanischen Nation die Frei-
heit ihrer Initiative zurückgab. Die preußische Regierung erhielt die erste Nach-
richt von diesem Schritte aus Paris. Der dortige spanische Gesandte überbrachte
nämlich das Telegramm des Fürsten dem Herrn Duc de Gramont in dem
Augenblick, als letzterer den Herrn Frhrn. v. Werther empfing.
Der Botschafter hatte am 11. d. M. Ems verlassen und war am 12.
wieder in Paris eingetroffen. In einer Unterredung, welche er an demselben