Full text: Fürst Bismarck und der Bundesrat. Erster Band. Der Bundesrat des Norddeutschen Bundes (1867-1870). (1)

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sind. Die kaiserlich russische Regierung hat den Unterzeichnern des Vertrages 
zu Paris vom 30. März 1856 durch Zirkular vom 19. (31.) Oktober d. J. 
(Beilage 1) erklärt, daß sie mit Rücksicht auf wiederholte Infraktionen dieses 
Vertrages sich nicht mehr an die Verpflichtungen desselben, soweit sie ihre Sou- 
veränitätsrechte im Schwarzen Meere beschränken, gebunden erachte. In be- 
gleitenden vertraulichen Mitteilungen (Beilage II) hat die keiserlich russische 
Regierung erklärt, daß sie den übrigen Inhalt des Vertrages anzufechten nicht 
beabsichtige, und sich gegen die Unterstellung verwahrt, als ob sie weitergehende 
Gedanken mit dieser Aufkündigung von Verpflichtungen, welche eine souveräne 
Macht auf die Dauer nicht vertragen kann, verbinde. Von den übrigen Unter- 
zeichnern des Vertrages vom 30. März 1856 liegt bis jetzt die Antwort des 
königlich großbritannischen Kabinets in der Depesche Lord Granvilles an Sir 
A. Buchanan vom 10. November d. J. (Beilage III) und zwei Depeschen des 
Grafen v. Beust an den Grafen Chotek vom 16. November d. J. (Beilagen 
IV und V) vor, welche, da sie bereits veröffentlicht sind, das Präsidium sich 
in der Lage befindet, ebenfalls mitzuteilen. Die zuerst erwähnte Depesche ist 
durch die unter VI abgedruckte Depesche vom 8. (20.) d. M. beantwortet. 
Seitens des Präsidiums des Norddeutschen Bundes ist eine Antwort auf die 
kaiserlich russische Mitteilung noch nicht ergangen. In einer so wichtigen An- 
gelegenheit hat dasselbe sich nicht amtlich aussprechen wollen, ohne die Ansicht 
seiner hohen Bundesgenossen zu kennen und die Stimme der Nation zu hören. 
Es hat sich daher einstweilen darauf beschränkt, die Vertreter des Norddeutschen 
Bundes bei den beteiligten Regierungen anzuweisen, daß sie nach Möglichkeit 
auf Erhaltung des Friedens unter den näher beteiligten Mächten hinwirken. 
In demselben Sinne hat der Bundeskanzler sich gegen den königlich groß- 
britannischen Unterstaatssekretär Herrn Russell, welchen der Staatssekretär für 
die auswärtigen Angelegenheiten Lord Granville nach Versailles geschickt hatte, 
ausgesprochen und ihm erklärt, daß das Bundespräsidium keine amtliche Er- 
klärung abgeben werde, ohne zuvor die Stimme des Bundesrats und des 
Reichstags gehört zu haben. Das Auswärtige Amt des Bundes geht von dem 
Grundsatze aus, daß politische Schritte, welche die friedlichen Beziehungen 
Deutschlands zu seinen Nachbarn gefährden können, stets nur insoweit gerecht- 
fertigt sein werden, als vertragsmäßige Verpflichtungen sie als eine völkerrecht- 
liche Pflicht auferlegen oder als unabweisbare Interessen der deutschen Nation 
sie fordern. Die ersteren liegen nach seiner Ueberzeugung nicht vor. Preußens 
Stellung zu der gegenwärtig angeregten Frage war von Haus aus eine andere 
als die der Mächte, welche den Vertrag vom 15. April 1856 abgeschlossen 
haben. Preußen hat an letzterem, durch welchen England, Frankreich und 
Oesterreich gemeinschaftlich und einzeln die Unabhängigkeit und Integrität des 
Osmanischen Reichs garantiren und erklären, daß sie jede Verletzung der Stipu- 
lation des Friedensvertrages vom 30. März 1856 als casus belli betrachten
	        
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