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12. Die Versailler Verträge.
Von den Verträgen, welche Bismarck mit den süddeutschen Staaten wegen
des Eintritts derselben in den Norddeutschen Bund geschlossen hatte, legte der-
selbe dem Bundesrat zuerst die Verträge mit Baden und Hessen vom
15. November 1870 vor. Dieselben begegneten keinen Schwierigkeiten, da sie
sich vom Boden der seitherigen Verfassung des Norddeutschen Bundes kaum
entfernten und deshalb in einer Sitzung des Bundesrats am 23. November
1870 glatt angenommen wurden. (Bundes-Gesetzbl. 1870 S. 650).
Gespannter war man in Bundesratskreisen") auf die Bedingungen, unter welchen
Württemberg und Bayern in den Bund zu treten geneigt sein würden und
über welche die Verhandlungen noch nicht zum Abschluß gediehen waren. Noch war
man nicht ohne Sorgen deshalb. Schon waren die württembergischen Bevoll-
mächtigten, Minister v. Mittnacht und v. Suckow, in Berlin angelangt und
noch waren die in Versailles abgeschlossenen Verträge von da nicht vollständig
nach Berlin gekommen. Minister v. Mittnacht selbst sagte bei einem Diner des
nordamerikanischen Gesandten, Mr. Bankroft, er werde die Verträge nicht voll-
ziehen, wenn sich zeige, daß an Bayern größere Konzessionen gemacht würden.
Am 25. November wurden die Verträge mit Württemberg und am
28. November, in der Sitzung des Bundesrats, die Verträge mit Bayern ge-
druckt mitgeteilt, und Minister Delbrück gab mündlich einen Ueberblick über den
Inhalt der letzteren. Die Abstimmung über die unschuldigeren Verträge mit
Württemberg erfolgte alsbald zustimmend. Aber der erste Eindruck, den der
Ueberblick über die Verträge mit Bayern auf die Mitglieder des Bundesrats
machte, war — das ließ sich nicht leugnen — ein deprimirender. Dieselben
hatten sich wohl darauf gefaßt gemacht, daß diese und jene besondere Konzession
an einen Staat wie Bayern nicht zu umgehen sein werde; allein auf so viele
Exemtionen und Privilegien, wie sie der bayerischen Regierung und der
bayerischen Gesetzgebung in diesen Verträgen zugestanden waren, waren sie nicht
gefaßt. Erst in der vorhergegangenen Nacht waren die bayerischen Verträge
nach Berlin gelangt, die Graf Bismarck allein mit dem bayerischen Bevoll-
mächtigten in Versailles vorherrschend unter dem Einflusse der Absicht abge-
schlossen hatte, Bayern à tout prix in den Bund hineinzuzwingen.
Nun sollte schon am 1. Dezember die Abstimmung des Bundesrats über
die wichtige Vorlage erfolgen, und zwar wurde dies mit dem Hinzufügen an-
gekündigt, daß es sich bei der Abstimmung wesentlich nur um „ja“ oder „nein“
werde handeln können, da zu erneuten Verhandlungen mit Bayern schon darum
keine Füglichkeit gegeben sei, weil sich keine bayerischen Bevollmächtigten in Berlin
befänden. In peinlich konsternirter Stimmung standen die Mitglieder des Bundes-
*) Ich entnehme diese Ausführungen den Denkwürdigkeiten des weimarischen Staats-
ministers Dr. Stichling.