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Friesen und Hohenthal darf als bekannt vorausgesetzt werden,“) ebenso wie der
weitere, vielleicht absichtlich in schleppendem Tempo geführte Gang der Verhand-
lungen. 17 Tage mußten Friesen und Hohenthal vergeblich in Berlin warten,
bis sie erfuhren, daß Preußen geneigt sei, mit Sachsen wegen eines Waffen-
stillstandes und Friedensvertrages in Verhandlung zu treten; nach fünf Wochen
Aufenthalt erfuhren sie, daß mit ihnen auf einer ganz neuen Basis verhandelt
werden müsse, und erst am 22. Oktober war Friesen in der Lage, mit einem
Exemplar des Friedensvertrages nach Dresden zurückzukehren.
Die maßgebende Stellung, welche ihm von jetzt ab in der Leitung der
Staatsgeschäfte zufallen sollte, fand Ausdruck durch seine Ernennung zum
Minister der auswärtigen Angelegenheiten, in welcher Eigenschaft sich für ihn
ein neues weites Feld der Thätigkeit eröffnete. Die Neugestaltung der deutschen
Verhältnisse ließ sich damals kaum erst in in ihren äußeren Umrissen erkennen;
nur die Grundzüge der künftigen Föderativverfassung des Norddeutschen Bundes
standen fest. Der Schwerpunkt der sächsischen Politik und der öffentlichen
Interessen des Königreichs, nahezu auf allen Gebieten, lag in der Regelung
seiner Beziehungen zu dem neuen Bunde. Alsbald machte sich das Bedürfnis
geltend, den Verkehr mit den Organen des neuen Bundes von einer Stelle
aus zu leiten, an derselben die Fäden aus den einzelnen Ressorts zusammen-
zufassen und in homogenen Bahnen zu erhalten. Diese wichtige Aufgabe fiel
nach 1866 dem Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten zu, und ihr zu
genügen erschien ein Mann wie Friesen mit seinen ausgedehnten Kenntnissen
in allen Zweigen der Verwaltung, seinem scharfen kritischen Blicke, seiner un-
verwüstlichen Arbeitskraft und seiner später wiederholt auch im Reichstag mit
Erfolg zur Geltung gebrachten überzeugenden Beredsamkeit vorzugsweise geeignet.
Im Jahre 1870 von dem Bundespräsidium zum Kommissar für die Ver-
handlungen mit den süddeutschen Staaten behufs der Einleitung des Beitritts
derselben zum Norddeutschen Bund und der Bildung des Deutschen Reichs
bestimmt, verweilte er vier Wochen in Versailles und nahm an den dortigen
Verhandlungen, infolge deren die bezüglichen Verträge mit Bayern, Württem-
berg, Baden und Hessen zum Abschluß kamen,““) hervorragenden Anteil. Seine
politische Wirksamkeit während der letzten zehn Jahre seiner Ministerthätigkeit
konnte bei der Schroffheit der Parteigegensätze nicht ohne heftige Anfeindungen
bleiben. Die einen sahen in ihm nur ein unerwünschtes Bollwerk gegen ihre
Bestrebungen, alles unterschiedslos zu nivelliren; die anderen meinten, er sei
zu leicht und zu gerne bereit, jenen nachzugeben.
Den Schwarzen Adler-Orden übergab ihm Kaiser Wilhelm persönlich, als
*) Friesen, Erinnerungen Bd. II. S. 252 ff.
**) Vgl. M. Busch „Graf Bismarck und seine Leute,“ Volksausgabe, S. 245, 246
und 252.