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glaube, die kleinen Staaten thäten am besten, sich lediglich der preußischen Gesetz-
gebung anzuschließen, insoweit sie künftig nicht Sache des Bundes sein werde.
Als Seebach sich darauf die Bemerkung erlaubte, daß ein solcher Anschluß mit
dem Aufgeben der staatlichen Existenz so ziemlich gleichbedeutend sein werde, setzte
Bismarck derselben keinen Widerspruch entgegen, deutete vielmehr an, daß dies
auch seine Ansicht sei, bei einer vertragsmäßigen Regelung des Verhältnisses
aber die Stellung der Souveräne wohl in einer Weise geordnet werden könnte,
daß denselben noch eine Reihe wertvoller Befugnisse verbliebe.
Nach Gründung des Norddeutschen Bundes weilte Seebach als Mitglied
des Bundesrats oft und lange in Berlin; sein Auftreten im Bundesrat hatte
mehr einen politischen als geschäftlichen Charakter. Seebach war von Bismarck
wiederholt zu Tisch geladen worden. Bei einer solchen Veranlassung unterhielt
sich der Fürst nach dem Essen in gewohnter Weise voll übersprudelnder Laune,
voll Geist und Witz mit seinen Gästen. Unter anderem stellte er die Theorie
auf, die Slaven und Romanen repräsentirten in der europäischen Völkerfamilie
die Frau, die Germanen hingegen den Mann, sie mußten sich amalgamiren;
und im Verlauf des Gesprächs auf die frühere Geschichte von Rußland ein-
gehend und nach einem Vergleich suchend, sagte er, zu Seebach gewendet: „So
wie Herr v. Seebach der Rurik"’) von Gotha geworden ist.“
Ueber alles Bedeutsame, was sich in Berlin zutrug, berichtet Seebach ge-
treulich seiner drittältesten Tochter Wanda, der späteren Gemahlin des Ober-
hausmarschalls v. Koethe. Es ist daraus ein politischer Schriftwechsel entstanden,
welcher hohes Interesse beansprucht, weil er zur Charakteristik des Berliner
Hofes, Bismarcks, der Kollegen im Bundesrat und zur Kenntnis der in dieser
hohen Körperschaft abgewickelten Geschäfte viel beiträgt. Diese Briefe dürfen
wird, mit meinem ersten Militäretat dreimal den Thüringer Wald überschreiten mußte, um
ihn endlich durch ein übereinstimmendes Votum der beiderseitigen Landesvertretungen zum
Abschluß gebracht zu sehen; daß ferner für die beiden Herzogtümer, deren Einwohnerzahl
damals 150 000 Seelen kaum überstieg, neben dem Ministerium nicht weniger als sieben
Mittelbehörden bestanden. Alles dies, und es ließe sich noch so manches hinzufügen, konnte
unmöglich fortbestehen, ohne in die Regierungsmaschine mehr oder weniger hemmend ein-
zugreifen; alle diese Mängel waren in der That von der Art, daß schon jede Verände-
rung notwendig auch eine Verbesserung in sich schließen mußte.“
Zu vergleichen ein Artikel in der „Gothaischen Zeitung“ Nr. 74 vom 27. März 1888
aus Anlaß des an diesem Tage erfolgten Rücktritts v. Seebachs von den Geschäften nach
fast vierzigjähriger Thätigkeit. — Aufsätze über das am 1. Dezember 1874 stattgefundene
fünfundzwanzigjährige Ministerjubiläum v. Seebachs finden sich in der „Augsburger All-
gemeinen Zeitung“ vom 1. Dezember 1874, der „Gothaischen Zeitung“ Nr. 282 vom
1. Dezember 1874, Nr. 284 vom 3. Dezember 1874. Vergleiche auch die Broschüre:
Der 1. Dezember 1874. Ein Gedenkblatt als Manuskript gedruckt. Gotha, Druck der
Engelhard-Reyherschen Hofbuchdruckerei. 1878.
*) Rurik (Hrurekr), Gründer der russischen Monarchie; sein Stamm erlosch im Jahre
1598 mit Feodor Iwanowitsch.