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„Die Kette habe ich dem Grafen Bismarck gestern abend 9½ Uhr über-
reicht und die Genugthuung gehabt, daß er sich wirklich darüber zu freuen
schien.“
*
Der nächste Aufenthalt Seebachs in Berlin war bedingt durch die Be—
ratungen über den Entwurf der Verfassung des Norddeutschen Bundes, wozu
Preußen die verbündeten Regierungen unterm 21. November auf den 15. De-
zember eingeladen hatte. Hierauf bezieht sich die nachfolgende Korrespondenz
Seebachs.
Berlin, 16. Dezember 1866.
An Freiin Wanda v. Seebach.
„Wir sind doch noch gestern abend mit dem Verfassungsentwurf überrascht
worden — aber keineswegs angenehm. Bleibt es bei den darin getroffenen
Bestimmungen, namentlich den militärischen, und an diesen wird man hier ge-
rade am wenigsten etwas ändern lassen wollen, so ist die Fortexistenz der
kleineren Staaten — mindestens der bei weitem größeren Mehrzahl derselben —
aus finanziellen Gründen schlechthin unmöglich gemacht. Die Verhandlungen
werden sich somit noch unerfreulicher gestalten, als ich erwartet hatte, und bei
einer gänzlichen Unnachgiebigkeit Preußens erscheint es mir gar nicht undenkbar,
daß das ganze Projekt des Norddeutschen Bundes ein klägliches Fiasko macht.
Dies wäre freilich ein überaus trauriges Ereignis. Möge der Himmel es ab-
wenden!
„Der Empfang beim König war recht feierlich. Er trat in die Mitte des
Saales und hielt eine längere Anrede, in der er allerdings auch die zu
bringenden Opfer scharf betonte. Ich hatte mich besonderer Gnade zu erfreuen;
als er mich bemerkte, übersprang er vier meiner Vorderleute, kam schnell auf
mich zu, gab mir die Hand und sagte mir über unsere Haltung viel Schmeichel-
haftes.
„Gegen 9 Uhr erfolgte dann die Eröffnung der Konferenz durch Graf
Bismarck,“) der mir doch noch sehr angegriffen zu sein scheint.
„Heute nachmittag wurden die Vollmachten ausgetauscht und geprüft, und
um 7 Uhr bin ich zur Frau Kronprinzeß befohlen.“
*
Berlin, 19. Dezember 1866.
An Freiin Wanda v. Seebach.
„Die heutige Konferenzsitzung beginnt um 1 Uhr und wird voraussichtlich
von ziemlich langer Dauer sein. Um 5 Uhr bin ich dann zu den Kronprinz-
lichen Herrschaften zum Diner befohlen, und so werde ich wohl nicht im stande
*) Die von Bismarck bei dieser Gelegenheit gehaltene Rede findet sich abgedruckt in
meinem Werke: „Die Ansprachen des Fürsten Bismarck“ S. 10.