— 89 —
sein, Euch noch heute über das Ergebnis der Sitzung zu berichten. Indes
möchte ich nach Mitteilungen, die mir gestern geworden sind, kaum mehr be—
zweifeln, daß es zur Vertagung kommen wird. Jedenfalls werde ich hier von
meiner Vollmacht für den Abschluß nicht Gebrauch machen, ohne vorher noch
mit dem Herzog mündliche Rücksprache genommen zu haben.
„Die Ansicht, daß das vorgelegte Verfassungsprojekt den kleineren Staaten
die Existenzfähigkeit abschneidet, indem es ihnen finanzielle Lasten auferlegt, die
sie nicht zu tragen vermögen, hat sich bei mir immer mehr festgestellt, und
leider hat es den Anschein, als ob man preußischerseits gerade an den nich—
tigsten Bestimmungen, die eine solche Konsequenz herbeiführen würden, unbedingt
festhalten werde. Man kennt also entweder unsere Verhältnisse nicht, oder
man will die kleinen Staaten auf diesem indirekten Wege beseitigen — und
das letztere ist es, was ich für das Richtige halte.
„Du kannst Dir denken, daß unter diesen Umständen meine Stimmung
eine sehr deprimirte ist, zumal ich mit mir selbst noch nicht darüber ins klare
gekommen bin, was ich, bei sich so mannigfach kreuzenden Erwägungen und
Interessen, dem Herzog mit gewissenhafter Ueberzeugung raten soll.“
*
Berlin, 16. Januar 1867.
An Freiin Wanda v. Seebach.
„Das ist eine Geduldsprobe, wie ich noch kaum eine bestanden. Alles
Drängen und Treiben hat nur zur Folge, daß man von einem Tage zum
andern vertröstet wird; aber auch der heutige scheint vorüber zu gehen, ohne
daß es zu einer Verhandlung kommt, da bis zur Stunde — 1 Uhr vorbei —
noch keine Einladung erfolgt ist.
„Heute soll ich in einer großen Soirée bei der Oberhofmeisterin Gräfin
Schulenberg sein, in der auch die Majestäten sein werden; ich fühle mich aber
so wenig aufgelegt dazu, daß ich mich wohl mit Unwohlsein entschuldigen
werde.“
*
Berlin, 18. Januar 1867.
An Freiin Wanda v. Seebach.
„Die Frau Kronprinzessin habe ich noch nicht gesehen; sie wurde zwar in
der gestrigen Soirée bei den Majestäten, die bis gegen 1 Uhr dauerte, noch
erwartet, erschien aber nicht, was mir auch nach ihrer langen Fahrt sehr na-
türlich vorkam. Ich hatte meinen Platz am Tisch der Prinzessin Friedrich Karl
angewiesen erhalten und traf es so glücklich, noch einen freien Stuhl zwischen
der Gräfin Redern und Frau v. Savigny, ziemlich den beiden einzigen Damen,
die mir etwas näher bekannt und immer sehr freundlich gegen mich sind, zu
finden. Da ist mir denn der lange Abend schneller vergangen, als ich fürchtete,