Full text: Fürst Bismarck und der Bundesrat. Vierter Band. Der Bundesrat des Deutschen Reichs (1878-1881). (4)

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Richtung könne aber dadurch Rechnung getragen werden, daß dem Bundesrat 
die Befugnis zur Aenderung des Güterverzeichnisses vorbehaltlich nachträglicher 
Zustimmung des Reichstags sowie zum Erlaß der spezielleren Ausführungs- 
bestimmungen vorbehalten werde. 
Diese Anschauung blieb indessen in der Minderheit. Die überwiegende 
Mehrheit entschied sich für die Bestimmung des Entwurfs. 
Für die Ausführung der hiernach dem Bundesrat zu übertragenden Fest- 
stellung des Tarifsystems glaubt der Ausschuß empfehlen zu sollen, im allgemeinen 
an den Grundsätzen des bestehenden einheitlichen Systems festzuhalten und dies 
demnächst in den Motiven der Gesetzesvorlage unter Darstellung des gegen- 
wärtigen Zustandes mit dem Bemerken auszusprechen, daß geprüft werden würde, 
ob und nach welcher Richtung etwa Aenderungen erforderlich seien. Schon jetzt 
in diese Prüfung und in die Detailberatung eines einheitlichen Tarifsystems 
einzutreten, wurde von der Mehrheit abgelehnt. 
Bezüglich der Tarifsätze war man darüber einig, daß zur Wahrung der 
erstrebten und im allgemeinen Interesse von Handel und Verkehr notwendigen 
Gleichmäßigkeit und Stetigkeit der Gütertarife nicht Maximal-, sondern Normal- 
sätze aufzustellen seien. Auch sprach sich die Mehrheit für die Feststellung 
übereinstimmender Normaleinheitssätze seitens des Reichs aus. Der Antrag der 
Präsidialbevollmächtigten auf Feststellung derselben durch Gesetz fand aber all- 
seitigen Widerspruch. 
Gegen eine einheitliche Regelung von Reichs wegen und für die Feststellung 
der Einheitssätze durch die Landesregierungen wurde auf die Verschiedenheit der 
finanziellen und Verkehrsverhältnisse der einzelnen Bahnen sowie darauf auf- 
merksam gemacht, daß eine derartige Festsetzung auch verfassungsmäßig nicht Auf- 
gabe des Reichs sei. Demgegenüber wurde aus der Mehrheit darauf hin- 
gewiesen, daß gerade die Verfassung die Gleichmäßigkeit der Tarife (Art. 45) 
betone, daß eine einheitliche und gleichmäßige Regelung dieses Punktes der wirt- 
schaftlichen Zusammengehörigkeit des Reichsgebietes durchaus entspreche und sich 
als die notwendige Konsequenz der vom Reich eingeschlagenen Wirtschafts- 
politik darstelle, auch die Festsetzung des Tarifsystems durch den Bundesrat 
ohne gleichzeitige Feststellung der Sätze keine Bedeutung habe. Den beson- 
deren Verhältnissen einzelner Bahnen könne durch Gewährung von Entfernungs- 
zuschlägen und nötigenfalls von Ausnahmetarifen genügende Rechnung getragen 
werden. 
Für eine Regelung der Einheitssätze durch Gesetz war hierzu noch geltend 
gemacht worden, daß bei der eminent wirtschaftlichen Bedeutung des Tarifwesens 
für die Interessen des ganzen Volkes es natürlich erscheine, bei Entscheidung 
dieser Fragen auch den Vertretern der Nation eine Stimme einzuräumen. 
Die Mehrheit vereinigte sich schließlich dahin, die Feststellung der Normal- 
einheitssätze dem Bundesrat zu übertragen.“
	        
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