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der sofort zu beantragenden nachträglichen Zustimmung des Bundesrats zur
Erteilung der Genehmigung ermächtigt sein.
Hierbei wurde ohne Widerspruch der Auffassung Ausdruck gegeben, daß
in den Fällen, in welchen es den deutschen Eisenbahnverwaltungen nicht gelingen
sollte, fremde Eisenbahnen zur Annahme des deutschen Systems bei gemeinschaft-
lichen Tarifen zu bestimmen, die Bildung kombinirter Tarife unter Wahrung
der Tarifvorschriften und der Sätze des deutschen Systems auf den deutschen
Strecken einer besonderen Genehmigung nicht bedürfe."“
Da es Bismarck darum zu thun war, den Entwurf womöglich noch dem
zur Beratung des neuen Zolltarifs versammelten Reichstag zur Beschlußnahme
vorzulegen, so wurde der Antrag des besonderen Ausschusses bereits auf die
Tagesordnung der Bundesratssitzung vom 6. Juni 1879 gesetzt. Indessen
schienen die Mittelstaaten entschlossen zu sein, dem Gesetzentwurf einen festen
Widerstand entgegenzusetzen. 1) In der gedachten Sitzung wurde auf den An-
trag Württembergs beschlossen, die Abstimmung erst in einer späteren Sitzung
vorzunehmen.
Im Vordergrund stand die Frage, wie weit die Bestimmungen des Ent-
wurfs eine Abänderung der Reichsverfassung in sich schlossen. Die Zweifel,
welche gegen die Verfassungsmäßigkeit des Entwurfs geltend gemacht wurden,
wurzelten darin, daß der Artikel 45 der Reichsverfassung dem Reiche nur die
„Kontrolle über das Tarifwesen“ zuspricht. Der „Berliner Aktionär“, ein Blatt,
welches in dem Rufe stand, häufig Anschauungen zu vertreten, welche sich mit
denjenigen des preußischen Handelsministeriums decken, sprach sich indessen dar-
über in folgender Weise aus:
„Es wird dabei der Titel 1I der Reichsverfassung übersehen, der überhaupt
die Grundsätze für die „Reichsgesetzgebung“ regelt. Nach Art. 4 Nr. 8 unter-
liegt der Beaufsichtigung und der Gesetzgebung des Reiches das gesamte Eisen-
bahnwesen; nur zu Gunsten Bayerns ist hierbei der Vorbehalt gemacht, daß ein
Teil der im Titel VII über das Eisenbahnwesen gegebenen Spezialbestimmungen
dort nicht zur Anwendung gelangen soll. Die Reichsverfassung beschränkt daher
materiell die Reichsgesetzgebung über das Eisenbahnwesen nicht nur nicht, sondern
sie gewährt derselben geradezu den weitesten Raum. Die Spezialbestimmungen
des Titels VII können nicht als solche Einschränkungen geltend gemacht werden;
1) Ueber den ablehnenden Standpunkt Sachsens vergl. die „Nat.-Ztg.“ Nr. 270 v.
13. 6. 79 (aus der „Leipziger Ztg.“). Die „Nat.-Ztg.“ selbst nannte den Entwurf einen
„extravaganten“ und schloß ihre Ausführungen: „Die eindeitliche Regelung des Gesetz-
entwurfs besteht bekanntlich in der virtuellen Meile — wie diese virtuelle Meile in jedem
einzelnen Falle gefunden wird, das ist der springende Punkt. Der Entwurf sagt, der
Bundesrat soll diese Meile finden — es fragt sich, ob man diese Anweisung auf die
arbiträre Entscheidung des Bundesrats für eine Lösung hält. Wir halten sie nicht dafür.“