— 123 —
Unklarheit seiner handelspolitischen und finanziellen Pläne ein für allemal ein
Ende machte.
Der Dezemberbrief Bismarcks war ein Befreiungsruf, welchem das deutsche
Volk, in seinen wichtigsten Lebensinteressen getroffen, mit einer wahren Be—
geisterung folgte. Der Schwerpunkt der Arbeit lag demnächst bei der am
3. Januar 1879 zusammengetretenen Kommission zur Revision des Zolltarifs,
welcher der Bundesrat auch den Dezemberbrief Bismarcks überwies.
Anfangs April hatte die unter dem Vorsitz des früheren württembergischen
Ministers Freiherrn v. Varnbüler arbeitende Kommission ihre Aufgabe gelöst,
worauf der Bundesrat deren Elaborat mit möglichst geringem Zeitverlust und
nur mit unwesentlichen Abänderungen sich aneignete. Wegen der raschen Er-
ledigung der Vorlage im Bundesrat wurde derselbe die Zielscheibe heftiger
Angriffe von seiten der Gegner der Zolltarifreform. Aber dieser Vorwurf hätte,
wie die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ zutreffend bemerkte, nur einen Sinn
gehabt, wenn die Zeit der Beratung im Plenum den Maßstab für die Gründ-
lichkeit der Erwägungen bei den einzelnen Bundesregierungen abgäbe. Dies
war, wie jedermann weiß, nicht der Fall. Was den vorliegenden Gegenstand
betraf, so waren sämtliche Bundesregierungen seit Monaten in der Lage, ihre
Stellung nicht bloß zu den Grundlagen der Tarifreform, sondern auch zu den
einzelnen von der Kommission vorgeschlagenen Sätzen zu nehmen. Denn die
Regierungen wurden über die Arbeiten der Kommission ununterbrochen auf dem
Laufenden erhalten, und es wurde dafür gesorgt, daß der Ausgleich wider-
sprechender Ansichten der Regierungen schon in der Tarifkommission herbeigeführt
wurde. Deshalb konnten die Instruktionen aller Bevollmächtigten dergestalt
erfolgen, daß die Beratung im Plenum ohne allen Aufenthalt verlief. Dies
konnte um so mehr der Fall sein, als alle Regierungen den Wunsch des
Kanzlers teilten, daß die Frage jedenfalls in der gegenwärtigen Session zum
Abschluß komme.
Ebenso verfehlt war das Manöver der Freihandelspartei, die Arbeit der
Tarifkommission als ein Werk des Freiherrn v. Varnbüler zu bezeichnen und
damit in Gegensatz zu den Absichten des Kanzlers zu stellen. Dieser Kunstgriff
erwies sich schon darum als ein vergeblicher, da der Kanzler das Ergebnis der
Tarifkommission sich vollständig aneignete und darin die im wesentlichen gelungene
Ausführung der von ihm gegebenen Anregung anerkannt hatte.
Großer Aerger herrschte bei den Manchesterleuten auch darüber, daß der
Vertreter der Hansestädte in der Zolltarifkommission nur ein unbedeutendes
Referat überwiesen erhalten hatte. Hätte man ihm am Ende dassenige über
die Getreidezölle anvertrauen sollen? Die Herren hatten augenscheinlich ganz
vergessen, daß von den Hansestädten nur Lübeck zum Zollverein gehörte, und
daß nach dem letzten Alinea des Artikel 7 der Reichsverfassung bei der Be-
schlußnahme über Angelegenheiten, welche nicht dem ganzen Reich gemeinschaftliche