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nicht angenommen werden könne. Die „Neue Freie Presse“ bemerkte: „Bis—
marcks Rücktritt würde alles in Frage stellen, was die Grundlage des euro—
päischen Friedens und der hoffnungsvollen Erwartungen für die Zukunft bildet.
Es ist furchtbar gleichgiltig für das deutsch-österreichische Bündnis, in dem wir
die größte und bedeutungsvollste politische Erscheinung der Gegenwart sehen,
welches Ministerium bei uns in Oesterreich regiert. Aber es ist für uns,
es ist für den Weltfrieden nicht gleichgiltig, ob Bismarck die Politik des
Deutschen Reiches lenkt, oder ob der Mann, der das wiedergeborene Deutsch-
land zum Freunde Oesterreichs gemacht, vom Schauplatze seiner Thaten ver-
schwindet. Solange Bismarck lebt, muß er an der Spitze des
von ihm geschaffenen Staates bleiben. Sein Rücktritt wäre ein
Unglück unter allen Umständen. Das fühlt heute ganz Deutschland, und wir
fühlen es mit. Bismarck ist nicht zu entbehren, und darum zweifeln wir auch
nicht daran, daß sein Entlassungsgesuch nicht angenommen werden, sondern daß
man die Gründe beseitigen wird, welche es veranlaßt haben — mögen es nun
solche der inneren oder äußeren Politik sein."
Der durch die Abstimmung im Bundesrat geschaffenen staatsrechtlichen Lage
sah am schärfsten und objektivsten die „Post“ (Nr. 97 vom 9. April 1880)
ins Auge, welche in einem Artitel „Reichskanzler und Bundesrat“ das Problem
in folgender Weise zu lösen versuchte: „Nach dem Artikel 15 der Reichsver-
fassung steht der Vorsitz im Bundesrat und die Leitung der Geschäfte dem
Reichskanzler zu, welcher vom Kaiser zu ernennen ist. Was wird geschehen,
wenn der Bundesrat einen Beschluß faßt, dem sein Vorsitzender nicht zustimmt?
Der Kanzler kann seine Entlassung vom Kaiser erbitten. Wenn aber der
Kaiser, welcher den Kanzler zu ernennen hat, die Entlassung nicht annimmt?
Dann wird nichts übrig bleiben, als daß der Kanzler dem Bundesrat anzeigt,
er habe, um die Meinungsverschiedenheit zwischen Bundesrat und Vorsitzendem
zu beseitigen, seine Entlassung erbeten, aber nicht erhalten; er sei aber auch
neuerdings nicht in der Lage, sich der Ansicht des Bundesrats anzubequemen.
Was wird dann der Bundesrat thun? Er könnte den Kaiser bitten,
einen anderen Kanzler zu ernennen, aber mit dem Bewußtsein, sich fügen zu
müssen, wenn der Kaiser die Bitte nicht erfüllt. Dieser Schritt wird also kaum
in Betracht kommen. Ein zweiter Weg stände dem Bundesrat offen, nämlich
den Zwiespalt ungeschlichtet zu lassen und es zu ertragen, daß der Reichs-
kanzler im Reichstag eine Bundesratsvorlage bekämpft, für die Verwerfung,
bezüglich Abänderung derselben das Gewicht seiner Stellung und Persönlichkeit
einsetzt.
Es gibt indessen noch einen dritten Weg. Der Bundesrat kann seiner-
seits auf einen Beschluß zurückkommen, welchen der Kanzler nach seiner Ueber-
zeugung geschäftlich zu vertreten und durchzuführen nicht im stande ist, während
andererseits der Wille des Kaisers dem Kanzler gebietet, auf seinem Posten zu