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lautet, daß Verdys strategische Betrachtungen und Entwürfe für den Krieg
mit Frankreich oder auch nach zwei Seiten von bestimmendem Einfluß auf
die unter Waldersees Leitung zu machenden Feldzugsvorbereitungen wären. Bei
solcher Harmonie der militärischen Anschauungen lag es nahe, daß Graf Waldersee
in Herrn v. Verdy einen ihm nützlichen Mitarbeiter im Staatsdienst erblickte.
Uebrigens hatte Herr v. Verdy als Generalstabsoffizier in der Umgebung
des Grafen Moltke den Feldzug 1870/71 mitgemacht und demnach mit zu
denjenigen Herren gehört, die in Versailles sich zeitweise berufen glaubten, Ein-
wirkungen des Reichskanzlers auf die Kriegshandlungen entdecken und be-
kämpfen zu müssen. Zu des letzteren Verehrern gehörte also Herr v. Verdy
keinenfalls. Ob für dessen Wahl zum Kriegsminister auch dieser Umstand
bestimmend gewesen ist, muß dahingestellt bleiben. Sicher ist wohl anzunehmen,
daß dem Fürsten Bismarck der neue Kollege im Staatsministerium nicht sympathisch
war, und er andere als geschäftliche Beziehungen zu ihm nicht unterhalten hat.
Seiner Vorliebe für den Grafen Waldersee hat Verdy auch in der Reichs-
tagssitzung vom 22. November 1889 Ausdruck gegeben, als Herr Richter beim
Etat des Auswärtigen Amts den Staatssekretär des letzteren betreffs der Ge-
rüchte interpellirte, wonach der Chef des Generalstabes die auswärtige Politik
des Fürsten Bismarck kreuzen sollte. Ohne dem Staatssekretär, an welchen
die Frage gerichtet war, Zeit zur Erwiderung zu lassen, ergriff Herr v. Verdy
das Wort, um jene Gerüchte zurückzuweisen. Das war, wie die „Nat.-Ztg."
bemerkte, gegen allen amtlichen und parlamentarischen Gebrauch und konnte schon
darum von fortschrittlicher Seite sensationell ausgebeutet werden.
Daß unter Bismarcks Regime amtliche Differenzen zwischen diesem und
Verdy zu Tage getreten seien, davon hat man nichts gehört. Verdy wußte
wohl bereits, daß Bismarcks Tage gezählt waren, und er hütete sich jedenfalls,
diesem militärische Zukunftsbilder (zweijährige Dienstzeit) zu entrollen, von denen
er überzeugt war, daß sie die kanzlerische Genehmigung niemals finden würden. 1)
1) Der Behauptung der „Allg. Ztg.“ gegenüber (Oktober 1892), daß Fürst Bismarck
während seiner Amtsthätigkeit von dem Verdyschen Plane, alle waffenfähigen Leute kriegs-
mäßig ausbilden zu lassen, keine Kenntnis gehabt habe, sucht der „Hamb. Korr.“ zu kon-
statiren, daß dies dennoch der Fall gewesen wäre. Der kaum einen Monat nach der Ver-
abschiedung des Fürsten dem Bundesrat vorgelegte Entwurf eines Militärgesetzes, betreffend.
Erhöhung der Friedenspräsenzstärke um 18000 Mann, wäre noch unter Fürst Bismarck
ausgearbeitet worden, und der damalige Kriegsminister v. Verdy hätte sich in der Militär-
kommission des Reichstages und im Bundesrat klar darüber ausgesprochen, daß die Vor-
lage nur der erste Teil eines größeren, allmählich zu verwirklichenden Planes sein sollte.
Das Hamburger Blatt fügte noch hinzu: „Ist es schon wenig glaubhaft, daß unter dem
früheren Kanzler Pläne dieser Art ohne seine nähere Kenntnis und Billigung hätten auf-
kommen und bis dicht vor den ersten Schritt der Ausführung gedeihen sollen, so stehen
jenem Versuche eines Dementis in der „Allg. Ztg.“ völlig einwandsfreie Zeugnisse, wir
vermuten sogar, auch der aktenmäßige Thatbestand entgegen. Die Autorität des Fürsten
Bismarck für einen späteren Entwurf, in dem die frühere Grundlage verlassen und die