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Eine Charakteristik, welche der bekannte Journalist Jaques Saint-Cère bei der
Ernennung Verdys zum Kriegsminister im „Figaro“ veröffentlichte, schloß mit den
Worten: „General Verdy ist liebenswürdig, er ist beinahe anmutig, er hat nichts
von einem altpreußischen General, und wenn er einst als Minister gestürzt wird, so
wird es aus diesem Grunde geschehen.“ Saint-Cere hat so unrecht nicht gehabt.
Der Grund zu Verdys Rücktritt lag in einer allzu offenen, dem Reichs-
kanzler Caprivi später unbequemen Entrollung militärischer Zukunftsbilder in
der Sitzung des Reichstags vom 14. Mai 1890. Früher wurde der Kriegs-
minister jedem anderen Einflusse gegenüber durch die mächtige Persönlichkeit des
Fürsten Bismarck gestützt. Unter Caprivi wurde die Stellung des Kriegs-
ministers dadurch erschwert, daß der Reichskanzler Berufssoldat war. So unter-
stand Herr v. Verdy als Minister, obwohl er der ältere General war, Herrn
v. Caprivi, und er mußte sich gefallen lassen, daß der Reichskanzler dieselben
Militärpläne in das Reich der phantastischen Zukunftsbilder verwies, welche der
Minister, sicherlich nicht ohne Fühlung mit entscheidenden Stellen, als „ehrlicher
Mann“ in großen Umrissen gezeichnet hatte.
Thatsächlich wurde Verdy von der Mehrheit des Reichstags zum Sünden-
bock gemacht; er sollte die Schuld tragen, daß die Opposition gegen die Mehr-
forderungen der Reichsregierung ohne Herabsetzung der Militär-
dienstzeit im Volke große Aufregung erzeugte; er sollte durch per-
sönliche Ungeschicklichkeit der freisinnigen Partei die Waffen geschärft haben. In
Wahrheit hatte offenbar Herr v. Verdy genau die ihm vorgezeichnete Richtung
eingehalten, und die spätere Caprivische Politik hat ihm recht gegeben. 1)
zweijährige Dienstzeit der Infanterie enthalten ist, irgendwie in Anspruch zu nehmen, ist
allerdings niemand beigekommen.“
1) Die Spannung war so weit gediehen, daß die „Nordd. Allg. Ztg." sich nicht scheute,
folgenden scharfen Artikel der „Kons. Korresp.“ gegen Verdy zum Abdruck zu bringen:
„Die Volksvertretung ist mit weitausschauenden Zukunftsplänen auf militärischem Gebiete
bekannt gemacht, welche, wie schließlich erklärt wurde, die Heeresleitung schon jetzt vor-
getragen hat, weil sie die Pflicht fühle, ganz offen zu sein. Nicht minder offen aber wurde
binzugefügt, daß es diesen Projekten bis jetzt an der Zustimmung der zuständigen Stellen
fehle, und so läßt sich, von Opportunitätserwägungen zu schweigen, selbst die Frage auf-
werfen, ob es nicht Pflicht gewesen wäre, die einseitigen Absichten eines Beraters der
Krone nicht eher dem Reichstag zu unterbreiten, als bis sie durch das Gutachten der zu-
nächst berufenen Stellen auf die Basis gebracht waren, welche die Eröffnung der Diskussion
verfassungsgemäß rechtfertigt. Ein solcher Verzicht auf ein verfrühtes und selbständiges
Vorgehen hätte dem Kriegsminister vielleicht um so leichter fallen können, als es sich um
Pläne handelt, deren Ausführung, wie gesagt wurde, mehr als den Zeitraum eines Menschen-
lebens in Anspruch nehmen soll, die also einer zukünftigen Generation doch mehr von ihren
Sorgen abnehmen, als nötig ist, oder Beschlüssen, die ihren Befugnissen und ihrem Urteil
vorgreifen, eine ernsthafte Bedeutung in Aussicht stellt. Diese Einwendungen drängen sich
mit voller Schärfe auf, wenn man sieht, daß die Entwicklung der erwähnten, als sschätzens-
wert“ bezeichneten Ideen vorläufig, ohne jeden ausgleichenden Gewinn, nur für die Demo-
kratie wertvoll gewesen ist.“