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saßen, in welchem 1878 der berühmte Kongreß in der orientalischen Angelegen-
heit seine Sitzungen gehalten hatte. Nach dem Diner aber, als man sich im
anstoßenden Salon zum Kaffee versammelt hatte, und die Zigarren angezündet
waren, und der Fürst, der das Stehen nicht gut mehr vertragen kann, sich
mit der langen Pfeife auf das Sofa setzte und die Gäste einlud, auch Platz
zu nehmen, forderte er mich auf, an seiner Seite Platz zu nehmen, und nach
einigen Worten der dankbaren Anerkennung für meinen Großherzog, den er
„eine der festen Säulen des Reichs“ nannte, begann er mir ein Vorhaben
mitzuteilen, das den Besuch der Bundesratssitzungen künftig mehr zu beleben
bestimmt sei. Er sagte, daß der Bundesrat im Laufe der Zeit etwas ganz
anderes geworden sei, als er bei der Schöpfung desselben beabsichtigt gehabt.
Er habe ihn sich als einen Areopag der deutschen Nation gedacht, in welchem
von Zeit zu Zeit die ersten und einflußreichsten Glieder der Regierungen der
einzelnen deutschen Bundesstaaten zusammenkommen, wenigstens die wichtigsten
Angelegenheiten des Reichs beraten und sich gegenseitig nicht nur, sondern auch
der Reichsregierung näher treten möchten. Inzwischen sei im Laufe der Zeit
dies ganz anders geworden. Da die wichtigen Angelegenheiten während der
ganzen Diät, untermischt mit den laufenden, oft sehr unbedeutenden, meist der
Zollverwaltung angehörigen Angelegenheiten (in der vorhergegangenen Woche
hatte die Tarifirung der eingesalzenen Rosenblätter unter anderem den Bundesrat
beschäftigt und wurde vom Reichskanzler als Exempel citirt) verhandelt worden
seien, haben die Minister der Einzelstaaten sich allmählich fast ganz der Teil-
nahme am Bundesrat entwöhnt und das Feld fast ausschließlich den Ober-
Zollräten und ähnlichen stellvertretenden Beamten geräumt, und die Folge sei,
daß das ganze Ansehen des Bundesrats erheblich sinken müsse. Das müsse
anders werden, und er beabsichtige zu diesem Zwecke dem Bundesrat eine
Vorlage zu machen, nach welcher die wichtigen Angelegenheiten von den
weniger wichtigen getrennt und besonders, in etwa vierzehn Tagen bis drei
Wochen, im Bundesrat verhandelt werden sollten, so daß die Minister der
Einzelstaaten, die meistens zugleich die ersten Bevollmächtigten zum Bundesrat
sind, während dieser Zeit wohl von Hause würden abkommen und in Berlin
sich zusammenfinden können. Ich konnte dem Plane natürlich nur bei-
stimmen und die Vermutung aussprechen, daß er allseitigen Anklang finden
werde.
Inzwischen hatten sich die übrigen Tischgäste in einem großen Halbkreise
um den Fürsten gruppirt, und nun machte er auch diesen die eben erzählte
Mitteilung und illustrirte sein Projekt der zwei= bis dreiwöchigen Minister-
sitzungen noch mit den Worten: „Da denke ich mir nun, daß wir die Sache so
machen wie unsere Altvordern: den einen Tag wird beraten und pokulirt, aber
feste, den folgenden Tag wird beschlossen. Und so fort.“ Es wurde nun über
das Vorhaben hin und her gesprochen, natürlich ohne Resultat.