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Der Reichskanzler war in diese Richtung bereits mit ganzer Kraft ein—
gebogen. Nach einem Diner, das er uns gab, entwickelte er bereits bei
Kaffee und Zigarre (er selbst mit der langen Pfeife) seine noch viel weiter
gehenden Pläne in Betreff der Reichshilfe durch Uebernahme der ganzen
Schul- und Armenversorgungslasten auf die Reichskasse, wozu wir die Köpfe
bedenklich schüttelten, und wovon der Reichskanzler selbst auch zurückgekommen
zu sein scheint.
Unser damaliges Zusammensein in Berlin — so schließt Stichling seine
Erinnerungen — fiel zugleich in die Zeit der Vermählung des Prinzen Wilhelm
(Sohn des Kronprinzen) mit der Prinzessin Viktoria von Schleswig-Holstein.
Wiederum waren es glänzende Feste am Kaiserlichen Hofe, zu denen auch wir
geladen waren. Das reizendste davon aber war der Anblick der jugendlichen
Gemahlin, die, ohne schön zu sein, doch mit einer Anmut und Jungfräulichkeit
geschmückt war, die alle bezauberte.
Zum letzten Male habe ich den Fürsten Bismarck am 1. April 1885
gesprochen. Es war der Tag seines fünfzigjährigen Dienstjubiläums, und ich
war mit den übrigen Mitgliedern des Bundesrats im Palais des Reichskanzlers
zu seiner Beglückwünschung erschienen. Am Nachmittag des folgenden Tages
hatte ich ihm im Auftrage des Großherzogs die Brillanten zu dem ihm längst
verliehenen Großkreuze des Falkenordens mit den wärmsten Glückwünschen des
Großherzogs und der Frau Großherzogin zu überbringen. Damals war es
— wir saßen allein in seinem nach dem Garten hinaus führenden Arbeits-
zimmer —, wo er, als die Rede auf die Frau Großherzogin kam, bemerkte:
„Ja, es wäre freilich besser gewesen, wenn die Regierungsnachfolge in den
Niederlanden auf die weibliche statt auf die männliche Linie übergegangen
wäre."
Die großartigen Huldigungen, welche an jenem Jubiläumstage dem Fürsten
Bismarck dargebracht wurden, wurden von manchem Höfling insofern beklagt,
als sie gewissermaßen als geeignet gedeutet werden konnten, den Keiser selbst
in Schatten zu stellen. An demselben Tage sollte es aber klar werden, daß
der Kaiser in seiner großen Seele nicht so dachte und fühlte. Im Laufe des
Jubiläumstags selbst nämlich wurden die von ihren Königlichen und Groß-
herzoglichen Höfen nach Berlin entsandten Minister zum Kaiser zur Audienz
befohlen. Als wir da zur bestimmten Stunde erschienen, trat der Kaiser an
uns heran, sprach seine Freude über den festlichen Tag aus, trug uns auf,
unseren gnädigsten Herren zu danken für ihre Teilnahme an demselben, und
schloß mit den Worten: „Alle Ehren, die meinem Kanzler erwiesen werden,
empfinde ich wie mir selbst erwiesen."