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zur Abstimmung anberaumten Plenarsitzung aber ist es geschäftlich unmöglich,
daß die gleichzeitig anwesenden preußischen Bevollmächtigten einander bekämpfen.
Jeder von ihnen kann, wenn es indizirt ist, die preußische respektive Präsidial-
abstimmung gegen die Vota anderer Regierungen vertreten, aber er kann nie-
mals eine persönliche oder eine Ressortansicht gegen das preußische Votum noch
in der Abstimmungssitzung geltend machen. Diese Abstimmung hat allein nach
dem durch das Organ des preußischen Ministers der auswärtigen Angelegen-
heiten, also des Reichskanzlers, zu übermittelnden Votum der Königlich preußi-
schen Regierung stattzufinden, und Preußen, dessen Vertretung die Reichs-
behörden einbegreift, kann sich, wie jeder andere Staat, nie anders als ein-
heitlich aussprechen. Davon, daß die Minister Bitter und Hofmann sich nicht
zeitig genug mit dem neuernannten Kommissar Geheimrat Fischer ins Benehmen
gesetzt hätten, kann aus mehrfachen Gründen nicht die Rede sein. Einmal,
weil die Abstimmung überhaupt in letzter Instanz nicht von dem Benehmen
verschiedener Behörden oder Kommissaren, sondern von der Instruktion des
Reichskanzlers formell abhängig ist, und dann, weil Geheimrat Fischer weder
zu den neuernannten noch überhaupt zu den Kommissaren im Bundesrat ge-
hört. Das Recht, im Bundesrat zu erscheinen, haben nach der Geschäftsord-
nung nur die selbständigen und stellvertretenden Bevollmächtigten. Kommissare
können von den Bevollmächtigten zu ihrer Hilfe nur in den Sachen zugezogen
werden, in welchen sie bereits im Ausschuß Assistenz geleistet haben. Zu selb-
ständigem Auftreten aber sind sie weder im Ausschuß noch im Bundesrat
jemals berechtigt.“! 1)
Die verfassungsmäßige Frage wurde auch sonst noch in der Presse viel
erörtert. „Der Konflikt“ — bemerkte die „National-Ztg.“ Nr. 165 vom 9. April
1880 — „entsteht nun jedesmal, wenn der Reichskanzler sich einer Mehrheit
des Bundesrats, sei dieselbe zusammengesetzt, wie sie immer mag, aus Mehr-
heit oder Minderheit der Bevölkerung, gegenüber befindet, die in einer wesent-
lichen Frage eine von seiner eigenen verschiedene Ansicht vertritt. Ob es in
dieser allgemeinen Fassung eine gesetzlich zu fixirende Lösung giebt, müssen wir
zunächst dahingestellt sein lassen. Der Reichskanzler hat eine Doppelstellung als
verantwortlicher Ratgeber des Kaisers und als Organ für die Ausführung der
Beschlüsse des Bundesrats. Wenn eine Kombination denkbar und durchführ-
bar ist, welche eine genügende Scheidung beider Funktionen des Reichskanzlers
ermöglicht, so dürfen wir in dieser Richtung daher einem Vorschlag des Fürsten
Bismarck entgegensehen, der für solche Konflikte die Lösung vorbereitet.
Bleiben wir aber in dem engeren Rahmen, welchen das Entlassungsgesuch
des Reichskanzlers gezogen hat, so haben wir zunächst die Beanstandung der
1) Sehr unliebsam mußte der Vorgang natürlich dem Staatsminister Hofmann sein,
unter dessen Vorsitz die kritische Abstimmung stattgefunden hatte. Seine Stellung wurde
denn auch sofort als „erschüttert“ bezeichnet.