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in der Regel die einfache Erklärung, substituirt zu sein, für ausreichend zur
Erfüllung der Form gehalten werden. Bei dem ausgiebigen Gebrauch, welcher
von diesen Substitutionen von Jahr zu Jahr in größerer Ausdehnung gemacht
worden, ist es dahin gekommen, daß einzelne der ständig anwesenden Bevoll—
mächtigten zum Bundesrat nicht selten mit der vier- und sechsfachen Zahl der
Stimmen, welche die Verfassung dem von ihnen vertretenen Staate beilegt,
auf die Beschlüsse einwirken. Es wird dadurch die verfassungsmäßige Stimmen-
verteilung verschoben, insbesondere zum Nachteil der größeren Bundesstaaten,
welche im Verhältnis zu ihrer Bevölkerung schon im Plenum geringer beteiligt
sind, in den Ausschüssen aber ohne Rücksicht auf Bevölkerung und Bedeutung
immer nur eine Stimme haben. Durch die übliche Handhabung der Sub-
stitutionen wird aber die Bedeutung der Ausschußbeschlüsse und ihre Rückwirkung
auf den Beschluß des Plenums wesentlich verstärkt, weil die Instruktionen der
substituirten Gesandten erfahrungsmäßig meist dahin lauten, den Ausschuß-
anträgen zuzustimmen, nicht selten auch schon dann, wenn die letzteren noch
nicht definitiv feststehen. Auf diesem Wege erhalten die Ausschußanträge eine
Verstärkung, deren mechanisches Gewicht für entgegengesetzte Meinungen nicht
anfechtbar, für neue Anträge nicht zugänglich ist, weil die Instruktion der Sub-
stituirten festliegt, und die instruktiongebenden Minister nicht rechtzeitig erreichbar
sind. Das Ergebnis dieser Verhältnisse fällt mitunter dahin aus, daß das
Resultat der Abstimmung auch für manche von den der Majorität angehörenden
Regierungen ein unerwartetes und unerwünschtes wird.
Wenn ich mir gestatte, vorstehend die geschäftlichen Nachteile der Sub-
stitutionen darzulegen, so kann ich daneben auch die Ueberzeugung nicht zurück-
halten, daß dieselben im Sinne der Verfassung überhaupt nicht zulässig sind.
Nur dem Reichskanzler legt der Artikel 15 die Berechtigung bei, sich durch jedes
andere Mitglied des Bundesrats vermöge schriftlicher Substitution vertreten zu
lassen. Wenn diese Berechtigung a priori jedem Mitgliede der Versammlung
hätte zustehen sollen, so wäre es nicht erforderlich gewesen, sie in der Verfassung
dem Reichskanzler beizulegen. Ferner kann nach Artikel 6 jedes Mitglied des
Bundes nur so viel Bevollmächtigte ernennen, wie es Stimmen hat. Wenn
nun diejenigen Regierungen, welche nur eine Stimme haben, ihren Bevoll-
mächtigten durch landesherrliche Vollmacht bei Beginn der Sitzungen ernannt
und legitimirt haben, so können sie neben demselben nicht durch Substitution
einen zweiten stimmberechtigten Bevollmächtigten für sich ernennen, ohne die
Zahl der Vertreter zu überschreiten, welche die Verfassung ihnen beilegt.
Artikel 7 spricht ausdrücklich von „nichtvertretenen“ Stimmen; der Fall, daß
solche vorkommen, würde der Verfassung kaum als wahrscheinlich vorgeschwebt
haben, wenn sie die Substitution in der heutigen Uebung hätte zulassen wollen.
Daß diese Zulassung in dem Grundgedanken der Verfassung nicht gelegen haben
kann, geht aus der Möglichkeit hervor, daß mit Anwendung von Substitutionen