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reformirte und auch den materiellen Beschluß, welcher der Stein des Anstoßes
gewesen war, bei erneuter Beratung aus der Welt schaffte.
Der ganze Verlauf der Krisis bestätigte eins: daß von einer sich im Schoße
des Bundesrats gebildeten stillen Verschwörung gegen Bismarck keine Rede war.
Denn thatsächlich war die angebliche Koalition auf den ersten Windstoß aus-
einandergestoben.
Heftige Kämpfe entwickelten sich im Bundesrat um die Maßregeln, welche
Bismarck für nötig hielt, um Hamburg zum Verzicht auf seine bisherige Frei-
hafenstellung zu bewegen. Die erste Pression lag in dem Antrage Preußens
auf Zollanschluß von Altona und eines Teiles von St. Pauli, eine Maßregel,
die nach der Ansicht Hamburgs, soweit hamburgisches Stadtgebiet in Betracht
kam, ohne seine Zustimmung rechtlich nicht zulässig war. Den Versuch Hamburgs,
die Entscheidung der Frage vor das Forum des Verfassungsausschusses des
Bundesrats zu bringen, bekämpfte Bismarck, weil er befürchtete, daß die An-
gelegenheit zu einem Verfassungskonflikt zwischen Preußen und Hamburg respektive
zwischen Preußen und dem Bundesrat oder einem Teil desselben führen moöchte.
Infolge der wenig geschickten Haltung, welche der bayerische Gesandte v. Rudhart
im Laufe der Verhandlungen eingenommen hatte, sah sich Bismarck veranlaßt,
sowohl im Bundesrats-Ausschusse als auf diplomatischem Wege für die Ziele
seiner hamburgischen Zollpolitik einzutreten, und er hatte die Genugthuung, daß
der Bundesrat von der Entscheidung der verfassungsrechtlichen Frage absah
und den Zollanschluß von Altona beschloß. Hatte sich diese Streitfrage auf
den Schoß des Bundesrat beschränkt, so weckte das zweite Pressionsmittel,
Bismarcks Antrag auf Einverleibung der unteren Elbe in das Zollgebiet, haupt-
sächlich Kämpfe im Reichstag, da Hamburg im Bundesrat für seine Gegen-
anträge keine Unterstützung fand.
Daß der Bundesrat auch sonst die Fühlung mit Bismarck etwas ver-
loren hatte, beweist sein Beschluß in Betreff des Gesetzentwurfs über die Anzeige
der in Fabriken und ähnlichen Betrieben vorkommenden Unfälle. Bismarck
perhorreszirte die von dem Bundesrat beschlossenen Bestimmungen und ver-
fügte einfach, daß der bezügliche Gesetzentwurf zu den Akten geschrieben werde.
Bismarck hat hiermit thatsächlich dem Reichskanzler ein Vetorecht gegenüber den
Beschlüssen des Bundesrats eingeräumt.
Zum erstenmal hatte der Bundesrat einen Ansturm der Agrarier gegen
die bestehende Goldwährung zu bestehen. Da Bismarck dieser Bewegung gegenüber
sich sehr skeptisch verhielt, so hielt auch der Bundesrat an den Grundlagen
der bestehenden Münzgesetzgebung fest.