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tretung des Reichskanzlers“. Die amtliche Verkündigung lautete: „Seine Majestät
der Kaiser haben Allergnädigst geruht, bis auf weiteres den Staatsminister,
Staatssekretär des Innern v. Boetticher mit der allgemeinen Stellvertretung
des Reichskanzlers nach Maßgabe des Gesetzes vom 17. März 1878 § 2 zu
beauftragen.“
„Bis auf weiteres“ erfolgt thatsächlich jede Ernennung; die ausdrückliche
Anwendung der Klausel im vorliegenden Falle schien andeuten zu sollen, daß
Herrn v. Boetticher die Stellvertretung des Kanzlers nicht so, wie es bei dem
Grafen Stolberg der Fall war, als integrirender Bestandteil seiner amtlichen
Stellung, sondern nur interimistisch übertragen worden war; das Definitivum
konnte sich aus diesem Interimistikum entwickeln; es sollte aber allem Anschein
nach der Fall ausdrücklich vorbehalten werden, daß ein anderer „Vizekanzler“
ernannt würde, während Beoetticher alsdann in seiner bisherigen Stellung
verbliebe.
Fortan ergingen die Schreiben v. Boettichers unter drei verschiedenen
Firmen: der Staatssekretär des Innern, der Reichskanzler und der Stellvertreter
des Reichskanzlers.
5. Boetticher als stellvertretender Handelsminister.
Boettichers Amtsvorgänger im Reiche, Hofmann, war auch Handelsminister.
Nach dessen Uebertritt in das Ministerium von Elsaß-Lothringen übernahm der
Kanzler selbst das Handelsministerium, und er entfaltete daselbst besonders zu
Anfang eine sehr rege Thätigkeit. Bald stellte sich aber das Bedürfnis heraus,
auch hier eine Vertretung zu schaffen, und diese erhielt ebenfalls der Staats-
minister v. Boetticher, wodurch die frühere Personalunion des Reichsamts des
Innern und des preußischen Handelsministeriums thatsächlich wiederhergestellt war.
Die erste Nachricht von der Bestellung eines Gehilfen in der Leitung der
Geschäfte des Handelsministeriums erfolgte am 28. Oktober 1880. Nicht durch
eine amtliche Publikation, sondern nur durch ein Entrefilet in der offiziösen
Presse erfuhr man, daß Boetticher den Handelsminister so weit zu vertreten habe,
als die Vertretung eines Ministers durch einen anderen zulässig ist. Der Kanzler
ließ in der „Nordd. Allgem. Ztg.“ erklären, seine Absicht sei, die anstrengenden
Arbeiten wieder aufzunehmen, sobald seine Gesundheit es ihm gestatte, namentlich
in Betreff aller derjenigen Geschäfte, welche in das Gebiet der Vorbereitung
der Reichsgesetzgebung gehören. Die laufenden Geschäfte im Handelsministerium
zu übernehmen, habe niemals in der Absicht Bismarcks gelegen. „Man kann
doch wirklich dem Fürsten Bismarck, weil er wichtige Organisationen im
Handelsministerium vorhat, nicht zumuten, jeden Immediatbericht wegen Er-
nennung eines Kommerzienrates zu unterzeichnen. Der Unterstaatssekretär kann
es nicht, und darum soll es ein verantwortlicher Minister thun.“