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In der Sitzung des preußischen Abgeordnetenhauses vom 27. November 1880
ließ sich der Abgeordnete Eugen Richter die Gelegenheit nicht entgehen, den
dunklen Punkt zur Sprache zu bringen. Richter hätte am liebsten die Ver—
handlungen über den Etat des Handelsministeriums ohne Bismarcks Gegenwart
für unzulässig gehalten, er fügte sich aber der dissentirenden Majorität des
Hauses, wollte dafür jedoch wissen, wie es mit seiner Stellvertretung beschaffen
sei. „Erst stand in den Zeitungen, der Minister v. Boetticher sei auf längere
Zeit mit der Stellvertretung beauftragt worden, ähnlich, wie einmal der Minister
für Landwirtschaft mit der Stellvertretung des Ministers des Innern beauftragt
wurde. Dann wurde wieder gesagt, nein, es sei nur eine vorübergehende
Stellvertretung auf wenige Tage, wie es öfters im Ministerkollegium vorkommt.“
Darauf antwortete Boetticher: „Weiter hat der Abgeordnete Richter die Frage
der Stellvertretung des Ministers für Handel und Gewerbe berührt, und auch
darüber halte ich mich verpflichtet, einige Worte zu sagen. Gerade die Rücksicht
auf seine Gesundheit und eine zeitweise Ueberlastung mit Geschäften hat den
Reichskanzler veranlaßt, an mich das Ersuchen zu richten, ihn, soweit die Ver—
tretung eines Ministers durch einen anderen zulässig ist, in seiner Eigenschaft
als Handelsminister hier in Berlin zu vertreten. Der Art. 44 der Verfassung
schreibt vor, daß jede Regierungshandlung Seiner Majestät des Königs der
Kontrasignatur eines verantwortlichen Ministers bedarf. Es ist bisher in Ab—
wesenheitsfällen, in Fällen von Krankheit und bei Verhinderung eines Ministers
stets so gehalten worden, daß ein Kollege ersucht worden ist, diese Kontra-
signatur zu übernehmen. Ich habe, als ich dem Ersuchen des Reichskanzlers
stattgab, mich darüber orientirt, in welcher Weise eine solche Stellvertretung
bisher behandelt worden ist, und ich kann versichern, daß dieselbe diesmal genau
so behandelt worden, wie konstant in allen ähnlichen Fällen, solange wir
verantwortliche Minister haben. Es handelt sich bei dieser Stellvertretung eben
lediglich um eine hoffentlich vorübergehende Vertretung. (Zuruf links.) Nein,
seit Jahren dauert sie nicht, sondern sie dauert ganz genau seit dem 28. Ok-
tober dieses Jahres. 1) (Heiterkeit rechts.) Ich hoffe, daß der Reichskanzler
sehr bald im stande sein wird, mich von der Stellvertretung wieder zu ent-
lassen."“
Die Erwartung Beoettichers, daß seine Funktionen im Handelsministerium
nur von kurzer Dauer sein würden, hat sich nicht erfüllt; sie währten bis zur
Abgabe des Handelsministeriums an den Minister Freiherrn v. Berlepsch kurz
vor Bismarcks Entlassung (31. Januar 1890). Da Bismarck im preußischen
Abgeordnetenhause nur in den dringendsten Fällen erschien, so war die Folge,
daß dem Minister v. Boetticher alljährlich die Vertretung des Etats des Handels-
ministeriums daselbst oblag, in welcher Aufgabe er natürlich von dem Unter-
1) In Kohls Bismarck-Regesten ist auch dieses Datum übersehen.