Full text: Fürst Bismarck und der Bundesrat. Vierter Band. Der Bundesrat des Deutschen Reichs (1878-1881). (4)

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machten sich aber auch im Parlament bemerkbar. Bei parlamentarischen Gedenk- 
festen sang der Staatssekretär wohl um die Wette mit freisinnigen Studios a. D. 
alte Burschenlieder. Man sagt, er neige zur Polemik im Gefühl seiner Sicher- 
heit und im Bewußtsein, daß seine Formen niemals verletzen. Es wird ver- 
sichert, daß sich die Sozialdemokraten noch niemals über ihn beschwert haben. 
Sie rühmen sein „geschicktes Verhaltenn. In den Kommissionssitzungen vergißt 
er jede Gegnerschaft vollends. Er steht dort mit allen Parteien auf dem besten 
Fuße und verkehrt mit den Mitgliedern in kollegialischer Weise. Es ging vor 
zwei Jahren eine Anekdote durch die Blätter, worin erzählt wurde, daß bei 
Beratung des Unfallversicherungsgesetzes im Reichstag dem Minister v. Boetticher 
Mitteilung von einem interessanten Ereignis in seiner Familie gemacht wurde. 
(Herr v. Boetticher war durch die Geburt eines Töchterchens erfreut worden.) 
Kurz bevor Herr v. Beoetticher den Sitzungssaal verließ, trat als der erste der 
Gratulanten der Abgeordnete Dr. Windthorst auf denselben zu und fügte die 
für die kleine Excellenz“ charakteristischen Worte hinzu: „Hoffentlich, Excellenz, 
ist kein Unfall passiert. Man sieht hieraus, wie Windthorst und v. Beetticher 
mit einander verkehren. In der That ist es nicht bloß Windthorst, sondern 
das Zentrum, und sind es überhaupt alle Parteien, die Herrn v. Boetticher — 
um es trivial auszudrücken — gern haben.“ 
Das Lob, das Boettichers parlamentarischem Auftreten gespendet wurde, 
verdichtete sich auch in folgender Wendung: „Wenn sich im Reiche für den 
Verkehr zwischen Regierung und Parlament eine angenehme, etwa vorhandene 
Gegensätze von vornherein mildernde Form herausgebildet hat, so ist das zum 
wesentlichsten Teile Herrn v. Boettichers Verdienst. Vor allem aber hat Herr 
v. Boetticher durch seine entgegenkommende und gewinnende Art die Lösung der 
schwierigen Aufgabe, verschiedene mehr oder weniger weit auseinandergehende 
Parteien zu einem Zwecke zu vereinigen, stets so glücklich gefördert, daß jeder 
auf positives Schaffen bedachte Politiker nur wünschen kann, ihn seinem Amte 
noch lange Jahre erhalten zu sehen.“ 
Endlich heißt es in der oben erwähnten Schrift „Fürst Bismarck und 
Herr v. Beoetticher"“: „Fürst Bismarck schränkte mit den Jahren seinen Verkehr 
mit dem Parlamente immer mehr ein, und es gab besonders auf der rechten 
Seite nicht wenig Freunde des Kanzlers, die das für sehr nützlich hielten. 
Diese waren der Meinung, daß die Art seines Auftretens und der Umstand, 
daß er sich von der Linken zu leicht reizen lasse, die Position der Gegner der 
Regierung nur zu stärken geeignet sei. Die Kreuzzeitung“ erteilte dem Fürsten 
direkt den Rat, dem Parlament möglichst fern zu bleiben und keine frische 
Butter in die Pfanne der Opposition zu streichen. Der Gewinn, den Herr 
v. Boetticher daraus ziehen durfte, daß er mehr ohne den Chef als mit dem-
	        
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