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Im Reichstage sprachen bei Beratung des dritten Unfallversicherungsgesetzes
Boetticher 24 mal, Bosse einmal; die Geheimräte Bödiker und Gamp kamen nicht
zum Wort, so sehr hatte sich der Staatssekretär bereits in die Materie eingearbeitet.
Nachdem der Reichstag das Gesetz genehmigt hatte, wurde dem Staats-
sekretär des Innern unterm 2. Juli 1884 die augenblicklich vakante Domherrn-
stelle bei dem Domstifte in Naumburg verliehen, und Geheimrat Bödiker wurde
zum Präsidenten des neugeschaffenen Reichs-Versicherungsamts ernannt.
Die späteren Novellen zum Unfallversicherungsgesetz sind in der Hauptsache
das Werk des Geheimrats v. Woedtke und des Direktors Bosse, die natürlich
in allen entscheidenden Fragen die Disposition ihres Chefs v. Boetticher 1) einholten.
Das Gesetz über die landwirtschaftliche Versicherung kam bekanntlich erst
beim zweiten Anlauf zu stande; der Beratung in der Reichstagskommission
wohnte der Präsident des Reichs-Versicherungsamts Dr. Bödiker als Bundesrats-
kommissar an, und derselbe hat wesentlichen Anteil an dem Zustandekommen
des Gesetzes; denn die Abgeordneten gaben viel auf die reichen Erfahrungen,
welche er sich bereits auf dem Gebiete der Arbeiterversicherung erworben hatte.
Die Alters= und Invalidenversorgung.
Das Verdienst der Initiative in dieser Frage wird dem Fürsten Bismarck
wohl niemand streitig machen wollen; bereits am 12. April 1863 drang er
bei dem Minister des Innern auf die Errichtung von Altersversorgungsanstalten
für die arbeitenden Klassen, indem er den Vorteil dieser Institute im Interesse
des Staates und der Arbeiter näher ausführte. ) Sehen wir zu, wie dieser
Gedanke allmälich Fleisch und Blut annahm.
Am 1. Februar 1881 erklärte Bismarck auf einer parlamentarischen Soiree, die
Versicherung der Arbeiter müsse weiter ausgedehnt werden als nur auf Unfälle.
Warum soll der Gedanke einer Altersversicherung nicht durchführbar sein 3)
Und am 27. Mai 1881 bemerkte Bismarck auf einer parlamentarischen Soiree,
er betrachte das Unfallversicherungsgesetz nur als einen ersten Schritt auf dem
Wege sozialer Reformen, dem eine Reihe anderer, wie namentlich ein Alters-
versorgungsgesetz, folgen müßten. 4)
1) Der letztere sprach zu dem Antrag Grillenberger-Kayser, betreffend die Abänderung
des Gesetzes vom 15. Juni 1883 über die Krankenversicherung der Arbeiter, fünfmal, zur
Ausdehnung der Unfall= und Krankenversicherung (späteres Gesetz vom 28. Mai 1885)
zwölsmal, zur Unfallversicherung der in land= und forstwirtschaftlichen Betrieben beschäftigten
Personen einmal, zur Ausdehnung der Unfallversicherung auf die Seeleute fünfmal, desgl.
auf die bei Bauten beschäftigten Personen viermal.
2) Vgl. meine Aktenstücke zur Wirtschaftspolitik des Fürsten Bismarck Bd. I S. 10.
3) Vgl. mein Werk „Fürst Bismarck als Volkswirt“, Bd. II S. 15.
4) „Fürst Bismarck als Volkswirt,“ Bd. II. S. 73.