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gefährlichen Zündstoff bot, von Jahr zu Jahr bedeutsamer. Im Oktober 1875
war zwischen Rußland und der Türkei ein Streit ausgebrochen, der Krieg
schien unausbleiblich, und die Diplomatie mußte zu verhüten suchen, daß nach
Ausbruch desselben ein Weltbrand entstehe. Man kann sich denken, wie wert—
voll es für Bismarck war, in dieser Frage sein Urteil sich nach den Ausführungen
eines Mannes bilden zu können, der den Orient sowie die dort leitenden Mächte
und Personen wie seine Tasche kannte. Neben Busch arbeitete übrigens damals
im Auswärtigen Amt auch noch Radowitz, der gleichfalls durch seine persönlich
im Orient erworbenen Kenntnisse auf die Behandlung der orientalischen Frage
von Einfluß war.
Der persönliche Verkehr Bismarcks mit Busch war in dieser Zeit ein
lebhafter, da damals noch die Uebung bestand, daß Bismarck die einzelnen
Referenten in der politischen Abteilung selbst empfing, was bekanntlich als Regel
erst aufhörte, als Graf Herbert Bismarck zum Unterstaatssekretär des Aus-
wärtigen Amts ernannt wurde. Die Beschäftigung Buschs war also damals
die, über die Eingänge, die Bismarck mit seinem großen „V“ versehen hatte,
dem Kanzler persönlichen Vortrag zu erstatten und sodann nach der Weisung
Bismarcks die Instruktionen an die Gesandten auszuarbeiten. Zu dieser Thätig-
keit war Busch insbesondere durch seine große stilistische Gewandtheit befähigt;
alles, was er schrieb, war klar, präzise und formvollendet.
b) Erste politische Mission. Ende 1876 war die Gefahr des Ausbruchs
eines kriegerischen Konfliktes zwischen Rußland und der Türkei bereits drohend
geworden. Die augenblickliche politische Lage findet man in der großartigen
Rede Bismarcks vom 6. Dezember 1876 musterhaft geschildert. Zunächst fanden
in Konstantinopel Vorkonferenzen der Großmächte ohne Teilnahme der Türkei
statt (12. bis 20. Dezember), um eine Verständigung über die an die Türkei
zu richtenden Forderungen zu erzielen. Vom 23. Dezember bis 20. Januar 1877
wurden diese Konferenzen unter Teilnahme der Türkei fortgesetzt. In diese
Zeit fällt die erste politische Mission des Dr. Busch, welcher von Bismarck
vom Januar bis März 1877 nach Konstantinopel geschickt wurde, um den
erkrankten Botschaftsrat Grafen Radolinsky zu vertreten. In der That handelte
es sich um einen letzten Versuch, durch persönliche Feststellung der am Goldenen
Horn herrschenden politischen Fluktuationen womöglich noch den bereits keimenden
Konflikt zu verhindern. Bekanntlich verliefen die Konstantinopeler Konferenzen
resultatlos, weil die türkische Regierung die gemeinsamen Forderungen der übrigen
Mächte abgelehnt hatte und hiernach ein Boden für weitere Verhandlungen mit
der Pforte nicht mehr vorhanden war.
c) Teilnahme an dem Berliner Kongreß. Es war der höchste Triumph
der Politik Bismarcks und der ihr zu Grunde liegenden aufrichtigen Friedens-
liebe, die höchste Anerkennung, die ihr zu teil werden konnte, daß in einer
Frage, die Deutschland am wenigsten unter den Mächten unmittelbar berührte,