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es fand nur ein Meinungsaustausch darüber statt, wie sich der Bundesrat zu
den Beschlüssen des Reichstags über das Unfallversicherungsgesetz nach der
zweiten Lesung zu verhalten habe. Man einigte sich dahin, daß der Vorsitzende,
Staatssekretär v. Boetticher, in einer Erklärung im Reichstage die Ansichten der
Reichsregierung zum Ausdruck bringen sollte, wie dies in der Sitzung des
Reichstags vom gleichen Tage auch geschehen ist. An demselben Tage nahm
der Reichstag das Gesetz nach den Beschlüssen der zweiten Lesung an, indem
die Reichsanstalt und der Staatszuschuß (Staatssozialismus) verworfen, dagegen
die Landesversicherungsanstalten, die vierzehntägige Karenzzeit und die Prämien-
zahlung zu zwei Dritteln vom Arbeitgeber und zu einem Drittel vom Arbeit-
nehmer aufrecht erhalten wurden.
In der Sitzung vom 25. Juni 1881 unterzog der Bundesrat den aus
dem Reichstag in so total veränderter Gestalt hervorgegangenen Entwurf einer
erneuten Prüfung, und er kam dabei zu dem Entschluß, das Unfallversicherungs-
gesetz abzulehnen. Dieser letztere Beschluß gründete sich vornehmlich auf das
von Bismarck zum Ausdruck gebrachte Bedenken, daß der Entwurf in der vom
Reichstag beschlossenen Fassung, im Gegensatz zu dem eigentlichen Zweck der
Vorlage, eine Mehrbelastung auch für den ärmeren Teil der Arbeiter enthielt. 1)
Die bayerische Regierung stimmte gegen den Entwurf aus folgenden Er-
wägungen: Sie hätte zwar kaum einen genügenden Grund, den Gesetzentwurf
in seiner jetzigen Fassung als geradezu unannehmbar zu betrachten. Denn
obwohl sie die Reichsanstalt für das richtigere halte, sei sie ihrerseits auch im
stande, eine Landesversicherungsanstalt einzurichten und zu handhaben. Die
Ablehnung von Staatszuschüssen aber entspräche ihrer ursprünglichen eventuellen,
durch die Gutachten der bayerischen Industriellen fundirten und von den In-
dustriellen der übrigen süddeutschen Staaten unterstützten Anschauung, von welcher
die bayerische Regierung bei ihrer Schlußabstimmung im Bundesrat nur in
der Erwägung abgesehen habe, daß das Präsidium den Gedanken des Gesetzes
nicht ohne Zuschüsse für ausführbar hielt, und daß manche Zweige der Industrie
Niederdeutschlands die ganze Prämienlast nach glaubwürdigen Zeugnissen nicht
zu tragen vermöchten. Die bayerische Regierung glaube aber dessenungeachtet
für die Annahme des jetzt beschlossenen Entwurfs sich nicht aussprechen zu können,
weil es ihr, abgesehen von manchen erheblichen Bedenken gegen die beschlossenen
Modifikationen, wie zum Beispiel die gesetzliche Feststellung der Prämien,
unmöglich erscheine, den Versuch der Durchführung eines so einschneidenden und
im Vollzug so komplizirten Gesetzes gegen die Präsidialmacht lediglich auf Grund
eines Mehrheitsbeschlusses der übrigen Bundesstaaten zu machen, weil sie dafür
1) Nach der „Nat.-Ztg.“ Nr. 295 v. 27. 6. 81 erklärten sich gegen die Landes-
versicherungsanstalten nicht nur die Kleinstaaten, sondern auch einige (2) Mittelstaaten.
„Man wünschte einhellig die Wiedervorlegung des Entwurfes unter Aufrechterhaltung des
Reichsmonopols und des Reichszuschusses, also der ursprünglichen Vorlage.“