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rats zurückzog, hat keine Bedeutung. Entscheidend ist, daß er sich über alle-
großen Fragen mit den leitenden Staatsmännern der Königreiche bereits geeinigt
hatte, als die Fragen zur Abstimmung im Bundesrat gelangten. Der Vorsitz.
im Bundesrat verlor im Lauf der Jahre ganz seine politische Bedeutung.
Bismarck hatte in der That Wichtigeres zu thun, als die Abstimmung der
Bevollmächtigten zum Bundesrat zu leiten; hatte er doch bewiesen, daß er selbst
den Ausschußsitzungen des Bundesrats seine persönliche Teilnahme schenkte, wenn
es sich um politisch ernste Angelegenheiten handelte. So oft also Bismarck in.
späteren Jahren im Plenum des Bundesrats erschien, konnte man sicher an—
nehmen, daß sich ein politisches Ereignis abspielte. Der Uebergang des Vor—
sitzes des Bundesrats von Hofmann an Boetticher war für die geschäftliche Be—
handlung der Bundesratsangelegenheiten ebenso belanglos wie der erste Wechsel
im Reichskanzler-Amts-Präsidium. Boetticher war geschäftlich entschieden nicht
so bewandert wie Hofmann, dafür aber diesem überlegen im persönlichen Ver—
kehr mit den Bevollmächtigten zum Bundesrat. Am liebsten hätten die Herren
im Bundesrat einen Vorsitzenden, zu dem sie „hinaufblicken“ können, was zum
Beispiel bei Miquel der Fall wäre. Fehlt diese Eigenschaft an dem Vorsitzenden,
so wird wenigstens auf eine leichte Hand gesehen, auf ein möglichst konziliantes
Wesen und auf angenehme Formen in der Geschäftsleitung. Wenn der Vor-
sitzende noch dazu die Eigenschaft hat, die trockenen Verhandlungen mit seinem
Humor etwas zu würzen, den Debatten die Spitze abzubrechen und die Sitzungen
nicht zu sehr in die Länge zu ziehen, so kann derselbe des Beifalls der Ver-
sammlung sicher sein.
Der Gesetzentwurf, betreffend die Reform des Innungswesens, den Bismarck
dem Bundesrat vorlegte, hatte in den beteiligten Kreisen in erster Linie die
Gefühle der Dankbarkeit für das rasche und bereite Entgegenkommen wach-
gerufen, das Bismarck den Wünschen der Gewerbetreibenden gegenüber dadurch
bethätigte. Der Gewerbestand war durchdrungen von der Zuversicht, daß Fürst
Bismarck bei den großen wirtschaftlichen Reformplänen, die er ins Werk gesetzt
hatte, auch für das Gedeihen des Kleingewerbes und des Handwerks das rechte
Maß von Wohlwollen hegte, und daß er den ernsten Willen hatte, den Uebel-
sständen abzuhelfen, die sich infolge der Einführung der allgemeinen Gewerbe-
freiheit durch die Reichs-Gewerbeordnung vom Jahre 1869 eingestellt hatten.
Seiner Vorliebe für Innungen hatte Bismarck übrigens bereits im Jahre
1849 als Abgeordneter Ausdruck gegeben. Der Bundesrat billigte die Ziel-
punkte, die sich sein Vorsitzender in der Vorlage gestellt hatte.
Der Stempel wurde gewissermaßen dieser Session des Bundesrats auf-
gedrückt durch die erste Beschäftigung desselben mit der Gesetzgebung zu Gunsten
der wirtschaftlich Schwachen. Der erste Schritt, der in dieser Richtung erfolgte,
war der Entwurf eines Gesetzes, welches die Versicherung der Arbeiter gegen.
die Folgen von Unfällen bezweckte, und der, am 15. Januar 1881 dem.