— 55 —
Senator Stahmer. Als drittes von Preußen zu ernennendes Mitglied trat
nachträglich noch der Regierungspräsident v. Boetticher aus Schleswig hinzu.
Ende März 1879 hatte die Kommission!) ihre Arbeit beendet.
Einige Blätter sprachen ihre Verwunderung aus, daß der Minister
Friedenthal sich an den Erörterungen über die Zollfrage gar nicht beteiligt
habe. Es hatten jedoch zwischen dem Referenten der Zolltarifkommission und
dem Minister sehr eingehende Besprechungen über die betreffenden Fragen statt-
gefunden. Auch der am 1. Februar 1879 erfolgte Besuch des Ministers in
Friedrichsruh wird wohl nicht ohne Beziehung zu jenen Fragen gewesen sein.
Auch mit den anderen beteiligten Ministerien hatten die Referenten der Kom-
mission nicht unterlassen, in vertraulichen Verkehr zu treten.
Der dem Bundesrat von der Kommission vorgelegte Gesetzentwurf, betreffend
den Zolltarif des deutschen Zollgebiets, 2) wurde von Bismarck den einzelnen
Bundesregierungen sowie ihren Vertretern im Bundesrat am 28. März mit-
geteilt.
Bismarck war von der dringenden Notwendigkeit einer baldigen Lösung der
schwebenden Fragen überzeugt, weil unter der augenblicklichen Unsicherheit der
Zustände das gesamte Erwerbsleben in Deutschland litt. Je rascher die deutsche
Industrie aus dem Zustande der jetzigen Ungewißheit herauskam, desto begrün-
deter war die Hoffnung auf eine neue aufsteigende Entwicklung.
Der Reichskanzler wünschte deshalb, die Vorlagen über die Zoll= und
Steuerfragen noch vor Ostern an den Reichstag bringen zu können, damit die
Beratung derselben unmittelbar nach den Osterferien beginnen könne.
Am 2. April 1879, wenige Stunden vor der Plenarsitzung des Bundes-
rats, ging den Mitgliedern desselben der Bericht der Zolltarifkommission zu.
Es war ein Heft von etwa 37 Druckbogen mit einer kurzen Einleitung und
einem daran geknüpften Referat über die Kommissionsberatungen zum Gesetz
und zum Tarif; die Minoritätsvota traten in dem Bericht durch ihre präzise
Fassung ganz besonders hervor. In der Einleitung war unter anderem betont,
daß die Kommissare sich mit den finanziellen Erfolgen ihrer Beschlüsse nicht
beschäftigt, sondern sich nur mit den dringendsten Bedürfnissen befaßt hatten.
Am eingehendsten waren die Zölle auf Eisen, Getreide, Garn und Holz be-
handelt. 3) In der bezüglichen Bundesratssitzung wurde der Gesetzentwurf über
den Zolltarif von der Tagesordnung abgesetzt und auf den folgenden Tag
(3. April) vertagt. Es wurde aber gleichzeitig beschlossen, sofort in die Plenar-
1) Ueber die Bildung dieser Kommission, die Ernennung des Vorsitzenden (Varnbüler)
und die Korrespondenz Bismarcks mit demselben vgl. mein Werk „Fürst Bismarck und
die Parlamentarier“ Bd. III S. 273 ff.
2) Drucks. Nr. 66 Sess. 1878/79 in der S. 24 Note 2 cit. Quelle.
3) Wortlaut des Zolltarif-Entwurfs, wie er zuerst dem Bundesrat zuging, s. „Nordd.
Allg. Ztg.“ Nr. 119 v. 3. 4. 79.