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Reis, ihre Zustimmung nicht zu geben, und kann sie ebensowenig diejenigen
neuen Zölle und Zollerhöhungen als geraten ansehen, welche zum Schutze der
Landwirtschaft von der Kommission vorgeschlagen sind. Da nun die Groß-
herzogliche Regierung bei der Kürze der ihr gegönnten Zeit nicht in der Lage
ist, dem Tarifentwurf der Kommission einen durchgearbeiteten Entwurf ent-
gegenzustellen, so bleibt ihr daher nichts übrig, als im allgemeinen an dem
jetzigen Tarif festzuhalten."
Fürst Bismarck, welcher während der ganzen Dauer der Sitzung den
Vorsitz führte, trat lebhaft für die Aufrechterhaltung der Tarifsätze, wie sie in
der Kommission festgestellt worden, ein. Es lagen von vielen Seiten Ver-
besserungsanträge vor, so von Sachsen, Braunschweig, Mecklenburg, Württem-
berg, Baden, Reuß jüngerer Linie, Bremen und Lübeck. Der wichtigste dieser
Anträge, welchen Württemberg dahin gestellt hatte, einen gleichmäßigen Getreide-
zoll mit 60 Pfennigen festzustellen, wurde abgelehnt. Auch die meisten übrigen
Anträge fanden nicht die Zustimmung der Majorität. Inzwischen wurden
einzelne Anträge, welche Zollerleichterungen betrafen, und schließlich der ganze
Tarif angenommen. Dagegen stimmten nur die Hansestädte und Oldenburg.
Ueber die Abänderungen, welche der Entwurf im einzelnen erfuhr, gibt § 199
der Protokolle des Bundesrats 1) näheren Aufschluß. Die wichtigste Ergänzung
war der von dem Staatsminister Hofmann beantragte Zusatz, der sogenannte
Kampfzollparagraph.
Es bestand im Bundesrat Einverständnis darüber, „daß der Gesetzentwurf
möglichst bald dem Reichstage vorzulegen sei und die Aufstellung der Motive
dem Präsidenten des Reichskanzler-Amts mit dem Anheimstellen überlassen bleibe,
hierbei diejenigen Arbeitskräfte heranzuziehen, deren Mitwirkung im Interesse
schleuniger und sachgemäßer Behandlung zweckmäßig scheine“.
Eine eigentümliche Ironie des Schicksals lag in dem Umstande, daß der
Reichstag sich in derselben Viertelstunde vertagt hatte — und zwar auf fast
vier Wochen —, in welcher im Bundesrate die wichtigste Vorlage der Session
zum Abschluß gebracht war. Der Aufwand von Arbeitskraft, mit welchem die
Tarifrevision zuerst in der Kommission, sodann im Bundesrate gefördert worden
war, war vorläufig vergeblich gewesen. Der Reichstag war auseinandergegangen,
ohne auch nur einen Blick auf jene Vorlage geworfen zu haben, von welcher
er wußte, daß sie spätestens am folgenden Tage eingebracht werden würde 2)
1) In der S. 24 Note 2 cit. Quelle.
2) Die Abfassung der Motive zum Zolltarif beschäftigte die Bundesratsausschüsse
für Zoll= und Steuerwesen und für Handel und Verkehr am 10. April 1879. Publikation
des Zolltarifgesetzes und des Zolltarifs in der von dem Bundesrat beschlossenen Fassung
„Nordd. Allg. Ztg.“ Nr. 123 v. 5. 4. 79, Nr. 140 u. 142 v. 18. u. 19. 4. 79 (Motive).
Eine Kritik des Tarifs von freihändlerischem Standpunkt findet sich in der „Nat.-Ztg.“
Nr. 158 v. 3. 4. 79, 160 v. 4. 4. 79, 161 v. 5. 4. 79, 163 v. 6. 4. 79.