132 XIV. Der Culturkampf.
der deutschen Bevölkerung in Posen und Westpreußen, die
Polonisirung des bis dahin stramm preußischen Elements
der „Wasserpolacken“ bedeuteten eine unleugbare Gefahr für
den preußischen Staat. Es stellte sich heraus, daß die Haupt-
schuld an dem Fortschritt der Polonisation gerade diejenige
Behörde trug, die den Beruf hatte, die Rechte des Staates
gegenüber der katholischen Kirche wahrzunehmen, unter dem
Einflusse ihres derzeitigen Leiters Krätzig 1) und der bei Hofe
mächtigen Familie der Radziwill aber zu einem Organ
polnischer Bestrebungen und römischer Interessen geworden
war. Fürst Bismarck beantragte demnach die Aufhebung
der „katholischen Abtheilung“ und setzte sie auch gegen den
Widerstand der Radziwillschen Familie, der Kaiserin Augusta
und des unter ehelichem Einflusse unfreien Ministers Mühler
durch; der letztere mußte bald nachher (17. Januar 1872) seinen
Abschied nehmen: „zur decorativen Platirung seines Abganges.
wurde eine Differenz über eine die Verwaltung der Museen
betreffende Personalfrage benutzt; in der That fiel er über
Krätzig und den Polonismus, trotz des Rückhaltes, den er
und seine Frau durch Damenverbindungen am Hofe hatten“.
Am 22. Januar wurde der Geh. Ober-Justizrath Falk als
sein Nachfolger in das Cultusministerium berufen.
Die Ultramontanen nennen Bismarck gern den „Vater
der Maigesetze“; mit Unrecht: „die juristische Detailarbeit der
1) Die Familie Radziwill hat die von Bismarck einmal gebrauchte
Bezeichnung Krätzigs als eines „Leibeigenen“ der Radziwills benutzt, um
die Glaubwürdigkeit der „Gedanken und Erinnerungen“ Bismarcks anzu-
zweifeln, sie hat behauptet, daß K. niemals Radziwillscher Privatbeamter
gewesen sei. Ich weiß nicht, ob die Angabe Bismarcks, daß K. vor dem
Eintritt in den Staatsdienst Radziwillscher Beamter gewesen, richtig ist,
daß aber die katholische Abtheilung unter Krätzigs Leitung das Organ
einiger polnischen Familien geworden sei, hat Bismarck, ohne von dieser
Seite Widerspruch zu erfahren, öffentlich am 28. Januar 1886 (Politische
Reden XI, 433) ausgesprochen. Wahrscheinlich kommt es bei der Radzi-
willschen Erklärung auf eine Wortklauberei hinaus. Es ist anzunehmen,
daß Bismarck über das Vorleben des Herrn Krätzig genaue Erkundigungen
eingezogen hat, ehe er sich so über ihn äußerte und seine Abhängigkeit
von den Radziwills auch in seinen Vorträgen vor dem Kaiser betonte.
Daß das Wort „Leibeigner“ nicht im polnischen Sinne zu verstehen ist,
liegt auf der Hand.