Full text: Wegweiser durch Bismarcks Gedanken und Erinnerungen. (3)

188 XVIII. Rußlands zukünftige Politik. 
am Bosporus mit Gewalt nehmen und abwarten, ob sich 
irgend eine Macht findet, die sie ihm streitig macht. Wie hat 
sich Deutschland in solchem Falle zu verhalten? Hat es 
England oder Oesterreich mit den Waffen zu unterstützen, 
wenn sie versuchen sollten, Rußland durch Krieg zur Rückgabe 
seines Raubes zu zwingen? Bismarck verneint diese Frage 
unbedingt. Es würde im Gegentheil für Deutschland nützlich 
sein, wenn die Russen sich physisch oder diplomatisch in 
Konstantinopel festsetzten: „wir würden dann nicht mehr in der 
Lage sein, von England und gelegentlich auch von Oesterreich 
als Hetzhund gegen russische Bosporusgelüste ausgebeutet zu 
werden, sondern abwarten können, ob Oesterreich angegriffen 
wird und damit unser casus belli eintritt.“ 
Darf Oesterreich die Festsetzung der Russen in Konstanti- 
nopel zulassen? Bismarck beantwortet diese Frage bejahend, 
und die österreichischen Staatsmänner der Zukunft werden 
gut thun, den Gründen nachzudenken, die Bismarck für seine 
Ansicht beibringt. Oesterreichs Betheiligung an der türkischen 
Erbschaft kann nur im Einverständniß mit Rußland geregelt 
werden, „und der österreichische Antheil wird um so größer 
ausfallen, je mehr man in Wien zu warten und die russische 
Politik zu ermuthigen weiß, eine weiter vorgeschobene Stellung 
einzunehmen. England gegenüber mag die Position des 
heutigen Rußland als verbessert gelten, wenn es Konstantinopel 
beherrscht, Oesterreich und Deutschland gegenüber ist sie 
weniger gefährlich, so lange es in Konstantinopel steht“. 
Lehnt Deutschland ab, neutral zu bleiben, so lange 
Oesterreich nicht gefährdet wird, so wird, meint Bismarck, 
Rußland versuchen, Oesterreich zum Genossen zu gewinnen, 
das Spiel von Reichstadt wird sich wiederholen. Rußland 
hat zu Anerbietungen an Oesterreich ein weites Gebiet; es 
kann solche machen auf Kosten der Pforte im Orient, aber 
auch auf Kosten Deutschlands, und im letzteren Falle, „gegen- 
über solchen Versuchungen, wird die Zuverlässigkeit unseres 
Bündnisses mit Oesterreich-Ungarn nicht allein von dem Buch- 
staben der Verabredung, sondern auch einigermaßen von dem 
Charakter der Persönlichkeiten und von den politischen und
	        
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