86 X. Convention. Preßverordnung. Fürstentag. Ludwig II.
Charakteristik des unglücklichen Königs Ludwig II. von Bayern,
den Bismarck nur einmal in seinem Leben (während des Auf-
enthalts in Nymphenburg am 16. und 17. August 1863 bei
der Durchreise des Königs von Gastein nach Baden), also
einige Monate vor seiner Thronbesteigung gesehen hat, und
im Anschluß daran die wichtigsten Stücke des Briefwechsels
beider Männer, für beide das beste Zeugniß ihrer freund-
schaftlichen Beziehungen: des Vertrauens des bayerischen
Monarchen in die ehrliche bundestreue Leitung des Deutschen
Reiches und seiner Bewunderung für den großen Staatsmann,
der ehrfurchtsvollen Hingabe des ersten Reichskanzlers an die
Interessen der Bundesfürsten in unbedingter Anerkennung des
föderalistischen Prinzips, auf dem das Reich erbaut ist. An
die Gegenwart klingt aus diesen Briefen eine Mahnung her-
aus zu sorgfältiger Schonung der Beziehungen zu den Einzel-
staaten, damit nicht die Verstimmung der Dynastien eine
zersetzende Wirkung übe auf unsere schwer errungene nationale
Einheit. Auszüge aus dem Briefwechsel zu geben, unterlasse
ich, um dem Leser der „Gedanken und Erinnerungen“ nicht
die Freude an der Lectüre des Ganzen zu verkümmern. Aber
ich schalte hier den Brief vom 27. November 1870 ein, der
in den „Gedanken und Erinnerungen“ nur nach dem Entwurf
gegeben werden konnte, im Wortlaute der Reinschrift im Januar-
heft der „Deutschen Revue“ veröffentlicht worden ist.“)
Versailles, 27. November 1870.
„Allerdurchlauchtigster, Großmächtigster König!
Für die huldreichen Eröffnungen, welche mir Graf
Holnstein nach Befehl Eurer Majestät gemacht hat, bitte
ich Allerhöchstdieselben, den ehrfurchtsvollen Ausdruck
meines Dankes gnädig entgegen nehmen zu wollen; mein
Gefühl der Dankbarkeit gegen Eure Majestät hat einen
tiefern und breitern Grund als den persönlichen in der
amtlichen Stellung, in welcher ich die hochherzigen Ent-
1) Eine vor einigen Jahren von Friedrichsruh aus an die gegen-
wärtige Besitzerin des Originals (Frau Luise von Kobell) gerichtete Bitte
um Einsendung des Briefes zur Entnahme einer Abschrift für das Archiv
des Fürsten wurde abschlägig beschieden.