Full text: Gedanken und Erinnerungen. Neue Ausgabe. Zweiter Band. (2)

Dreißigstes Kapitel. 
Zukünftige Politik Rußlands. 
Die Gefahr auswärtiger Kriege, die Gefahr, daß der nächste 
auf der Westgrenze uns gegenüber die rothe Fahne ebenso gut 
wie vor hundert Jahren die dreifarbige in's Gefecht führen 
könne, lag zur Zeit von Schnäbele und Boulanger ½ vor und 
liegt noch heut vor. Die Wahrscheinlichkeit eines Kriegs nach 
zwei Seiten hin ist durch den Tod von Katkow') und Skobe- 
lew') in etwas vermindert: es ist nicht nothwendig, daß ein 
französischer Angriff auf uns Rußland mit derselben Gewißheit 
gegen uns in das Feld rufen würde, wie ein russischer An- 
griff Frankreich; aber die Neigung Rußlands, still zu sitzen, 
hängt nicht allein von Stimmungen, sondern mehr noch von 
technischen Fragen der Bewaffnung zu Wasser und zu Lande 
ab. Wenn Rußland mit der Construction seines Gewehrs, der 
Art seines Pulvers und der Stärke seiner Schwarzen-Meer- 
Flotte seiner Meinung nach „fertig“ ist, so wird die Tonart, 
in der heut die Variationen der russischen Politik gehalten sind, 
vielleicht einer freiern Platz machen. 
Es ist nicht wahrscheinlich, daß Rußland, wenn es seine 
Rüstung vollendet hat, dieselbe benutzen wird, um ohne Weitres 
1) Am 20. April 1887 wurde der französische Grenzcommissar Schnä- 
bele, der sich der Bestechung von Angehörigen des Deutschen Reichs in 
Elsaß-Lothringen schuldig gemacht hatte, von deutschen Gehelmpolizisten 
beim Ueberschreiten der deutschen Grenze verhaftet, jedoch am 30. April 
wieder freigelassen. — Kriegsminister Boulanger trieb aus diesem Anlaß 
in der von ihm beeinflußten Presse lebhaft zum Revanchekrieg. 
ꝛ) Herausgeber der „Moskauer Zeitung“, gest. 1. Aug. 1887. 
2) Gest. 6. Juli 1882.
	        
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