90 Achtes Kapitel: Meine Entlassung.
die Berichte des Consuls verspätet eingegangen, wurde mir
implicite der Vorwurf des Landesverraths gemacht, der Vor-
enthaltung von Thatsachen, um eine von außen drohende Ge-
fahr zu vertuschen. Ich wies in einem sofort erstatteten Im-
mediatberichte nach, daß alle nicht von dem Auswärtigen Amte
aus direct dem Kaiser vorgelegten Berichte des Consuls unver-
züglich dem Kriegsminister und dem Generalstabe übersandt
waren. Nachdem mein Bericht (der nach einigen Tagen ohne
irgend ein Marginale, also ohne Zurücknahme der schweren
Beschuldigung an das Auswärtige Amt zurückgelangte) abge-
gangen war, berief ich auf den Nachmittag eine Minister-
sitzung.
Ich mußte es als eine Laune des Zufalls ansehn, und die
Geschichte wird es vielleicht verhängnißvoll zu nennen haben,
daß am Vormittage desselben Tages der in der Nacht aus
Petersburg eingetroffne Botschafter Graf Paul Schuwalow
sich bei mir mit der Erklärung meldete, er sei ermächtigt, in
gewisse Vertragsverhandlungen z) einzutreten, und daß diese
Verhandlungen sich demnächst zerschlugen, als ich nicht Reichs-
kanzler blieb.
Für die in der Ministersitzung abzugebende Erklärung hatte
ich solgenden Entwurf gemacht:
„Ich bezweifle, daß ich die mir obliegende Verantwortlich-
keit für die Politik des Kaisers noch länger tragen kann, da
mir derselbe die hierfür unerläßliche Mitwirkung nicht ein-
räumt. Es ist mir überraschend gewesen, daß Se. Majestät
über die sogenannte Arbeiterschutzgesetzgebung mit Boetticher,
aber ohne Benehmung mit mir und dem Staatsministerium,
definitive Entschließungen gefaßt hat; ich sprach damals die
X) Ueber Verlängerung eines im Juni 1890 ablaufenden Ver-
trages, der uns für den Fall, daß wir von Frankreich angegriffen
würden, die Neutralität Rußlands sicherte.