Abschiedsaudienz. Abreise. Brief Franz Joseph's. 109
wünsche und hoffe, daß es Ihrer erschütterten Gesundheit zu
Gute kommen werde, wenn Sie Sich nach so vielen Jahren
ununterbrochener erfolg= und ruhmreicher staatsmännischer Wirk-
samkeit Ruhe gönnen wollen, so wenig kann ich das Gefühl
aufrichtigen Bedauerns unausgesprochen lassen, mit welchem ich
Ihren Rücktritt, insbesondere Ihr Scheiden von der Leitung
der auswärtigen Angelegenheiten des uns so nahe stehenden
Deutschen Reiches begleite. Ich werde es immer dankbarst an-
erkennen, daß Sie die Beziehungen Deutschlands zu Oestreich-
Ungarn im Geiste loyaler Freundschaft aufgefaßt und durch
consequentes und treues Zusammenwirken mit den Männern
meines Vertrauens das heute unerschütterliche Bundesverhält-
niß gegründcet haben, welches den Interessen beider Reiche, wie
meinen Wünschen und jenen Ihres Herrn und Kaisers ent-
spricht. Ich freue mich, Ihnen bei diesen für die Geschicke des
Welttheils so wichtigen Bestrebungen meine Unterstützung und
mein rückhaltloses Vertrauen entgegen gebracht zu haben, und
weiß es auch dankbar zu schätzen, daß ich bei Ihnen in allen
Gelegenheiten auf dieselbe vertrauensvolle Offenheit und zu-
verlässige Mithülfe zählen konnte. Möge Ihnen noch eine
lange Reihe von Jahren hindurch die Genugthuung gegönnt
sein, zu sehen, wie der durch Sie sestgefügte deutsch östreichische
Freundschaftsbund in den schweren Zeiten, in welchen wir leben,
sich als sichere Schutzwehr erweist nicht nur für die Verbün-
deten, sondern auch für den Frieden Europas. Empfangen
Sie, lieber Fürst, die Versicherung, daß meine herzlichsten
Wünsche Sie stets begleiten, daß ich Ihrer mit den Gefühlen
aufrichtiger Hochachtung und Freundschaft gedenke und daß
es mich lebhaft freuen soll, so oft Ihnen die Gelegenheit
geboten wird, von Ihrem opferwilligen Patriotismus und
Ihrer altbewährten weisen Erfahrung erneut Zeugniß abzu-
legen.
Franz Joseph.“