114 Neuntes Kapitel: Graf Caprivi.
welche die Monarchie schädigen würden, um sich in ihrer Stel-
lung zu erhalten. Diese Sorge beruhte auf Wahrnehmungen,
welche ich an meinen Collegen im Staatsministerium gemacht
hatte.
Ich habe gehört, daß der Kaiser die Bedenken, welche
Caprivi gegen Uebernahme meiner Nachfolge geäußert, mit den
Worten beschwichtigt habe: „Seien Sie ohne Sorge, sie kochen
alle mit Wasser, und ich werde die Verantwortlichkeit für die
Geschäfte übernehmen.“ Hossen wir, daß die nächste Gene-
ration die Frucht dieses königlichen Selbstvertrauens erndten
werde.
Wie Caprivi über die Bedenken, die er gegen Ueber-
nahme des Kanzlerpostens hegte, sich hinweg geholfen hat,
darüber sprach er bei unserer einzigen und kurzen Besprechung
nach seiner Ernennung, zwischen Thür und Angel des von ihm
in Besitz genommenen Zimmers im Flügel meines Hauses,
sich mit den Worten aus: „Wenn ich in der Schlacht an der
Spitze meines zehnten Corps einen Befehl erhalte, von dem
ich befürchte, daß bei Ausführung desselben das Corps, die
Schlacht und ich selbst verloren gehen, und wenn die Vorstellung
meiner sachlichen Bedenken keinen Erfolg hat, so bleibt mir
doch nichts übrig als den Befehl auszuführen und unterzugehn.
Was ist nachher weiter? Mann über Bord.“ In dieser Auf-
sassung liegt der schärfste Ausdruck der Gesinnung des Offizier-
corps, welche den letzten Grund der militärischen Stärke Preu-
szens in diesem und dem vorigen Jahrhundert gebildet hat und
hoffentlich ferner bilden wird. Aber auf die Gesetzgebung, die
Politik, die innere wie die äußere, übertragen, hat dieses, auf
seinem eigentlichen Gebiete bewunderungswürdige Element doch
seine Gefahren; die heutige Politik eines Deutschen Reiches,
mit freier Presse, parlamentarischer Verfassung, im Drange
der europäischen Schwierigkeiten, läßt sich nicht im Stile einer
durch Generäle ausgeführten Königlichen Ordre betreiben,