Full text: Gedanken und Erinnerungen. Neue Ausgabe. Dritter Band. (3)

Vergleichende Charakteristik der Vorfahren. 125 
  
Die Gewohnheit Friedrich's des Großen, in die Ressorts 
seiner Minister und Behörden und in die Lebensverhältnisse 
seiner Unterthanen einzugreifen, schwebt Sr. Mcjestät zeitweise 
als Muster vor. Die Neigung zu Randbemerkungen in dessen 
Stile, verfügender oder kritisirender Natur, war während 
meiner Amtgzeit so lebhaft, daß dienstliche Unbequemlichkeit 
daraus entstand, weil der drastische Inhalt und Ausdruck dazu 
nöthigte, die betrefssenden Actenstücke streng zu secretiren. Vor- 
stellungen, welche ich darüber an Se. Mojestät richtete, sanden 
keine gnädige Aufnahme, hatten indessen doch die Folge, daß 
die Marginalien nicht mehr auf den Rand unentbehrlicher 
Actenstücke geschrieben, sondern denselben angeklebt wurden. 
Die weniger complicirte Verfassung und der geringere Umsang 
Preußens gestatteten Friedrich dem Großen eine leichtere 
Uebersicht der Gesammtlage des Staates im Innern und nach 
außen, so daß für einen Monarchen von seiner gelschäftlichen 
Erfahrung, seiner Neigung zu gründlichster Arbeit und seinem 
klaren Blicke die Praxis kurzer Randbescheide im Cabinets- 
dienste weniger Schwierigkeit darbot als in den heurigen Ver- 
hälmissen. Die Geduld, mit welcher er sich vor definitiven 
Entscheidungen über Rechts= und Sachfragen unterrichtete, die 
Gutachten competenter und sachkundiger Geschäftsleute hörte, 
gab seinen Marginalien ihre geschäftliche Autorität. 
An dem Erbe Friedrich Wilhelm's II. ist Kaiser Wilhelm II. 
nach zwei Richtungen hin nicht unbetheiligt. Die eine ist die 
starke sexuelle Entwicklung, die andre eine gewisse Empfäng- 
lichkeit für mystische Einflüsse. Auf welche Weise der Kaiser 
sich über den Willen Gottes vergewissert, in dessen Dienst er 
seine Thätigkeit stellt, darüber wird kaum ein klassisches Zeugniß 
beizubringen sein. Die Andeutungen in dem Phantasiestück 
King and Minister: A Midnight Conversation X) von einem 
&) Contemporarr Reriew. April 1890, pag. 457.
	        
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