30 Zweites Kapitel: Großherzog von Baden.
sonst in Deutschland üblich, hat sich gerade in den Tagen
der Bewegung als die erwiesen, welche die geringste Anhäng-
lichkeit gezeitigt hatte und deren Wurzelverbindung mit der
Dynastie die schwächste war. Baden war in dem genannten
Jahre der einzige Staat, in welchem sich das Erlebniß des
Herzogs Karl von Braunschweig wiederholte, indem der Landes-
herr genöthigt wurde, sein Land zu verlassen.
Der regirende Herr war in dem Herkommen ausgewachsen,
daß das Streben nach Popularität und das „Rechnung tragen“
jeder Regung der öffentlichen Meinung gegenüber das Funda-
ment der modernen Regirungskunst sei. Louis Philipp war
eine Art von Vorbild für die äußere Haltung constitutioneller
Monarchen, und da er seine Rolle als solches auf der europäi-
schen Bühne von Paris gespielt hatte, so gewann er für deutsche
Fürsten eine ähnliche Bedeutung wie die Pariser Moden für
deutsche Damen. Daß auch die militärische Seite der staat-
lichen Leistungen nicht frei von dem System des Bürgerkönigs
geblieben war, zeigte der Abfall der badischen Truppen, der so
schmählich in keinem anderen deutschen Staate bisher vorge-
kommen ist. In diesen retrospectiven Betrachtungen habe ich
immer Bedenken getragen, dazu mitzuwirken, daß der badischen
Regirungspolitik die Entwicklung der Dinge im Reichslande
übergeben werde.
So national gesinnt der Großbherzog, sich selbst überlassen,
sein mochte, so vermochte er doch nicht immer dem auf ma-
teriellen Interessen begründeten Particularismus seiner Beam-
ten Widerstand zu leisten, und im Falle eines Conflicts wurde
es ihm natürlich schwer, badische Local-Interessen denen des
Reiches zu opfern.
Ein latenter Conflict lag in der Rivalität der Eisen-
bahnen des Reichslandes mit den badischen, ein zu Tage
tretender in den Beziehungen zu der Schweiz. Den badischen
Beamten war ein Pflegen und Erstarken der deutschen Social-