32 Zweites Kapitel: Großherzog von Baden.
Standpunkte anders zu beurtheilen und zu behandeln als ge-
mäß der Reichspolitik. Die Anzahl der badischen Staatsan-
gehörigen, welche in der Schweiz und im Elsaß als Arbeiter,
Handlungsgehülfen und Kellner Beschäftigung finden und über
den Elsaß hinaus an einer ungestörten Verbindung mit Lyon
und Paris interessirt sind, ist ziemlich groß, und von den groß-
herzoglichen Beamten war kaum zu verlangen, daß sie ihre
Verwaltungssorgen einer Reichspolitik unterordnen sollten, deren
politische Ziele dem Reiche zu Gute, deren locale Nachtheile aber
Baden zur Last kamen.
Aus solchen Frictionen entspannen sich Preßkämpfe zwischen
offiziösen, selbst amtlichen badischen Organen und der „Nord-
deutschen Allgemeinen Zeitung“.
In der Tonart waren beide Seiten nicht tadelfrei. Der
staatsanwaltliche Zuschnitt der badischen Polemik war eben-
so weit außerhalb der gewöhnlichen Höflichkeit wie der Stil
der genannten Berliner Zeitung, welche ich von der Schärfe
der Diction, die meinem damaligen Freunde, Herrn von Rot-
tenburg, dem Chef der Reichskanzlei, als rechtskundigem Ge-
lehrten anklebte, nicht frei halten konnte, da ich nicht immer
Zeit hatte, mich mit publicistischen Redactionen auch nur con-
trollirend zu beschäftigen.
Mir ist erinnerlich, daß mich 1885 ein Befehl des Kron-
prinzen eines Abends spät plötzlich nach dem Niederländischen
Palais beschied, wo ich den hohen Herrn und den Großherzog
vorsand, letzteren in ungnädiger Verstimmung über einen
Artikel der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“ in einer
Polemik mit dem offiziösen badischen Blatte. Ich erinnere
mich des Gegenstandes, um den es sich handelte, nicht mehr
vollständig, weiß auch nicht, ob der betreffende Artikel des
Berliner Blattes offiziösen Ursprungs war. Er konnte das
sein, ohne vor dem Druck zu meiner Kenntniß gekommen