Full text: Gedanken und Erinnerungen. Neue Ausgabe. Dritter Band. (3)

Drittes Kapitel. 
Boetticher. 
Der Kaiser Wilhelm II. hat nicht das Bedürfniß, Mit- 
arbeiter mit eignen Ansichten zu haben, welche ihm in dem be- 
treffenden Fache mit der Autorität der Sachkunde und Erfahrung 
entgegentreten könnten. Das Wort „Erfahrung“ in meinem 
Munde verstimmte ihn und rief gelegentlich die Acußerung her- 
vor: „Erfahrung? Ja, die allerdings habe ich nicht.“ Um 
seinen Ministern sachkundige Anregungen zu geben, zog er deren 
Untergebne an sich und ließ sich von diesen oder von Privat- 
leuten die Informationen beschaffen, auf Grund deren eine 
kaiserliche Initiative den Ressortministern gegenüber genommen 
werden konnte. Außer Hinzpeter und Andern war mir gegen- 
über dazu in erster Linie Herr von Boetticher brauchbar. 
Ich hatte seinen Vater gekannt, 1851 mit ihm in Frankfurt 
am Bunde sunciionirt, und fand Gefallen an der äußerlich 
angenehmen Erscheinung des Sohnes, der begabter als der Vater 
ist, diesem aber an Festigkeit und Ehrlichkeit nachsteht. Ich habe 
die Carrière des Sohnes durch meinen Einfluß bei dem Kaiser 
Wilhelm I. ziemlich schnell gefördert; er wurde auf meinen 
Antrag Oberpräsident in Schleswig, Staatssecretär, Staats- 
minister, lediglich durch mich, aber Minister immer nur in dem 
Sinne eines Amanuensis für mich, eines aide oder adjoint, wie 
man in Petersburg sagt, der nach dem Willen des Kaisers nur 
meine Politik im Staatsministerium und im Bundesrathe zu 
vertreten hatte, namentlich wenn ich durch Abwesenheit verhindert 
war. Elr hatte kein andres Ressort als die Aufgabe, mich zu 
unterstützen. Es war dies eine Stellung, die zuerst der Minister
	        
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