60 Fünftes Kapitel: Der Krourath vom 24. Januar.
Die ausständischen Arbeiter würden natürlich in ihren An-
sprüchen bestärkt durch den Glauben, daß die Haltung der
höchsten Staatsgewalt ihnen günstig sei. Dazu kam die Ueber-
einstimmung der Reichstagsfractionen im Wettkriechen vor dem
wählenden Arbeiter auf dem Gebiete der angeblichen Schutz-
gesetzgebung. Ich hielt die letztere angebrachtermaßen für schäd-
lich und für eine Quelle von künftigen Unzufriedenheiten, ihre
Tragweite aber nicht für bedeutend genug, um 1889 dem Kaiser
gegenüber eine Cabinetsfrage daraus zu machen.
Die Gründe, welche in meinem politischen Gewissen gegen
meinen Rücktritt sprachen, lagen auf anderen Gebieten, nament-
lich auf dem der auswärtigen Politik sowohl unter dem Ge-
sichtspunkt des Reiches als unter dem der deutschen Politik
Preußens. Das Vertrauen und die Autorität, welche ich mir
in einer langen Dienstzeit bei ausländischen und bei deutschen
Höfen erworben hatte, vermochte ich nicht auf Andere zu über-
tragen; dieser Besitz muste bei meinem Ausscheiden dem Lande
und der Dnynastie verloren gehen. Ich hatte in schlaflosen
Nächten Zeit genug, diese Frage in meinem Gewissen zu er-
wägen, und kam zu der Ueberzeugung, daß es für mich eine
Ehrenpflicht sei, auszuharren, und daß ich die Verantwortlichkeit
und die Initiative zu meinem Ausscheiden nicht auf mich nehmen
dürfe, sondern dem Kaiser überlassen müsse. Ich wollte sie ihm
aber nicht erschweren und beschloß nach dem Kronrath vom 24.,
zunächst mich freiwillig aus dem Ressort zurückzuziehen, auf
dessen Gebiete sich meinc amtlich seit Jahren verkündeten Ueber-
zeugungen als unvereinbar mit denen des Koaisers schon heraus-
gestellt hatten, das heißt aus dem Handelsministerium, zu dessen
amtlicher Competenz die Arbeiterfrage gehörte.
Ich hielt für möglich, die Entwicklung auf diesem Gebiete
mit einem tolerari posse, mit passiver Assistenz, an mir vorüber-
gehen zu lassen und die eigentlich politischen, namentlich die
auswärtigen Geschäfte weiter zu führen. Daß die Behandlung