64 Sechstes Kapitel: Die Kaiserlichen Erlasse vom 4. Februar 1890.
gab das Staatsministerium nach; der Einzug erfolgte erst am
16. Juni, unter den Augen Ihrer Majestät.
Für den nun eingetretenen Fall, daß das Staatsministerium
versagte, hatte ich erwogen, durch welche andern Faktoren
sich vielleicht auf den Kaiser wirken lassen würde. Als solche
erschienen der Staatsrath, der Volkswirtschaftsrath, denen ich
ein Verständniß für die Rückwirkung auf die unmittelbar be—
vorstehenden Reichstagswahlen zutrauen durfte, und die Re-
girungen des Auslandes, welche von dem parteinehmenden
Eingreifen des Kaisers in die Arbeiterverhältnisse analoge
Schäden erwarten konnten, wie ich sie bei uns befürchtete. Mein
Vorschlag, den ich in derselben Sitzung des 26. machte, den
Staatsrath und eine internationale Conferenz zu berufen, um
in der Erörterung sachverständiger Männer ein Gegengewicht
gegen unverantwortliche und unwissende Dilettanten zu schaffen,
fand Zustimmung.
Die Redaction der entsprechenden Erlasse nahm ich selbst in
die Hand. Die genannte Camarilla war der Meinung ge-
wesen, daß eine Kundgebung, wie der Kaiser sie wollte, einen
günstigen Einfluß auf die Reichstagswahlen haben werde. Ich
war von dem Gegentheil überzeugt, allerdings ohne vorher-
zusehn, in wie großem Maße mir der Ausfall der Wahlen am
20. Februar Recht geben würde. Ich hatte auf Grund der
Erfahrung das taktische Bedenken, daß es in einer Situation,
wie sie durch die Streiks des Vorjahres vorbereitet war, eine
gefährliche Sache ist, Maßregeln von unbestimmter und un-
berechneter Tragweite in promissorischer Form anzuregen; ich
war überzeugt, daß die Verlogenheit und Entstellungskraft der
Wahlreden niemals eine wirkliche Absicht der Regirung, sondern
immer nur Vorwand und Mißdeutung behufs aufregender
Kritik des Bestehenden in den Vordergrund stellen würden.
Kundgebungen von einschneidender Natur vor den Wahlen
können auf diese günftig einwirken, wenn sie von unzweidentigen