78 Siebentes Kapitel: Wandlungen.
Am 8. März fand ich Grund, darüber nachzudenken, ob das
Verhalten des Kaisers am Schlusse des Vortrags vom 25. Fe-
bruar aus einer augenblicklichen, seitdem vorübergegangenen
Erregung zu erklären oder ob es vielleicht nicht ernst gemeint
gewesen sei. Bei Gelegenheit eines Vortrages über andere
Gegenstände empfahl mir Se. Majestät, freundlicher gegen
Boetticher zu sein; ich antwortete mit einer Beleuchtung seiner
Insubordination und seiner Falschheit gegen mich, erwähnte
namentlich, daß er, der gesetzlich im Reich mein Untergebner
sei und im Staatsministerium nur als adlatus für mich Sitz
habe, dennoch im Reichstage, namentlich in der socialen und der
Sonntags-Frage, gegen mich werbe und wirke und daß er am
20. Januar Nachmittags den Bundesrath berusen, zum Ein-
gehn auf den Initiativantrag des Reichstags wegen Aufbesse-
rung der Beamtenbesoldungen bewogen und alsdann im Namen
der verbündeten Regirungen eine entsprechende Erklärung im
Reichstage abgegeben habe, in directem Widerspruche mit meiner
ihm an dem Morgen des genannten Tages zugegangenen
schriftlichen Anweisung. Ich hatte kaum das Schloß verlassen,
als der Kaiser Herrn von Boetticher mit einem sehr gnädigen
Briefe den Schwarzen Adlerorden übersandte. Ich war als
Vorgesetzter des Decorirten davon nicht unterrichtet, und es
unterblieb auch jede nachträgliche Mittheilung an mich.
Ungeachtet dieser gegen mich gerichteten Demonstration er-
hielt ich bei einem Vortrage am 10. nicht den Eindruck, daß
der Kaiser mein Programm aufgegeben habe; Se. Majestät
erklärte, an den größeren Militärforderungen festhalten zu
wollen, welche der Kriegsminister von Verdy Tags vorher in
der Ministersitzung mit Nachdruck als unabweislich ent-
wickelt hatte: die Scharnhorst-Boyen'sche Jdee der Ausbildung
jedes Waffenfähigen sei bei uns verlassen, von den Franzosen
als nation armée ausgenommen; sie würden uns trotz einer
um 11 Millionen geringeren Bevölkerung in kurzer Frist um