Full text: Handwörterbuch der Preußischen Verwaltung. Erster Band (A-K). (1)

Behördenorganisation der preuß. Verwaltung. 
Ausgestaltung des neuen Systems brachte die 
Gesetzgebung des Jahres 1875 nach zwei Rich- 
tungen hin. Durch das Verwaltungsgerichts- 
gesetz vom 3. Juli 1875 (GS. 375) wurde das 
ausschließlich aus rechtskundigen Mitgliedern 
zusammengesetzte Oberverwaltungsgericht 
als höchste verwaltungsgerichtliche Instanz 
neu eingesetzt und das verwaltungsgerichtliche 
Verfahren einheitlich geregelt; durch die Prov O. 
vom 29. Juni 1875 (00. 335) wurden behufs 
Beteiligung an den Geschäften der allgemeinen 
Landesverwaltung für die Bezirksinstanz in 
dem Bezirksrat und für die Provinzial- 
instanz in dem Provinzialrat neue Laien- 
kollegien unter dem Vorsitz des Regierungs- 
präsidenten bzw. des Oberpräsidenten geschaf- 
fen, die 
an diese 
vorbehalten. Letzteres geschah durch das Zu- 
ständigkeitsgesetz wom 26. Juli 1876 (G. 297). 
Nach der Seite der Rechtskontrolle hin er- 
weiterte dasselbe die bisherigen Bestimmungen 
insofern, als gegen polizeiliche Verfügungen 
seder Art unter bestimmten Voraussetzungen 
die Klage im Verwaltungsstreitverfahren neben 
der Beschwerde, bzw. nach Erschöpfung des 
Beschwerdeweges zugelassen, auch das admini- 
strative Zwangsverfahren der Kreis= und Orts- 
polizeibehörden neu geregelt wurde. Im übri- 
gen ordnete es die Verhältnisse der in den 
Stadtkreisen an die Stelle der Kreisausschüsse 
tretenden und in der Kr O. vom 13. Dez. 1872 
bereits vorgesehenen Stadtausschüsse, setzte 
ferner den Beschwerdegang für die nichtstreiti- 
gen sog. Beschlußsachen fest und verteilte end- 
lich auf die neuen Selbstverwaltungsbehörden 
die einzelnen, diesen zugewiesenen Angelegen- 
heiten, wobei die im Verwaltungestreitverfahren P 
zum Austrag zu bringenden Sachen (Verwal- 
tungsstreitsachen) von den bei ihrer Erledigung 
an ein besonderes Berfahren nicht gebundenen 
Sachen (Beschlußsachen) scharf gesondert wurden. 
Für Sachen beiderlei Art war der Kreisaus- 
schuß, nur für Beschlußsachen Bezirksrat und 
Provinzialrat zuständig. 
.Die neue Organisation galt nur für 
die östlichen Provinzen; ihre Durchfüh- 
rung ließ erkennen, daß zur Erzielung eines 
wirksamen, die Interessen der Staatsverwal- 
tung vollberüchsichtigenden Zusammenarbeitens 
der verschiedenen Behörden noch weitere, in 
den bisher ergangenen Gesetzen nicht vorge- 
sehene Anderungen der bestehenden Behörden- 
organisation erforderlich waren. Um den hervor- 
getretenen Mängeln abzuhelfen, zugleich aber 
die Möglichkeit zur Ubertragung der Verwal= 
tungsreform auf die damit noch nicht bedachten 
Provinzen zu schaffen, ergingen infolgedessen 
für das gesamte Staatsgebiet das G. über die 
ganisation der allgemeinen Landesverwal-= 
tung vom 26. Juli 1880 (GS. 291) und im An- 
schluß an dasselbe Novellen zum Verwaltungs- 
berichtegesetz (vom 2. Aug. 1880 — GS. 315); 
zur KrO. (vom 19. Aärz 1881 — GS. 155) und 
zur ProvO. (vom 22. Alärz 1881 — CS. 170). 
ie Einführung der neuen Verwaltungsgesetz— 
gebung in den nichtöstlichen Provinzen wurde in 
"em erstgedachten Gesetze von dem vorgängigen 
rlasse neuer Kreis= und Provinzialordnungen 
uweisung der einzelnen Geschäfte 
ehörden aber besonderem Gesetze 
  
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abhängig gemacht. Der Umstand, daß gegen 
die komplizierte Gestaltung der Behörden- 
organisation, welche durch das L. vom 
26. Juli 1880 keine Anderungen erfahren hatte, 
insbesondere gegen die durch das Mebenein- 
anderbestehen einer größeren Anzahl von Be- 
hörden in der Bezirksinstanz — PRegie- 
rungspräsident; Regierung; Bezirksrat; Be- 
irksverwaltungsgericht — sowohl für die 
ehörden selbst, wie für das Publikum her- 
beigeführten großen Unzuträglichkeiten in 
steigendem Maße KRlagen laut wurden, ließ 
indessen ein weiteres Vorgehen zunächst nicht 
angezeigt erscheinen. Nach Anhörung der 
Provinziallandtage in den sog. Kreisordnungs- 
provinzen gelangte vielmehr die Regierung zu 
dem Entschlusse, durch eine Revision des L V. 
eine Vereinfachung anzustreben. Diese wurde 
in dem neuen LB. vom 30. Juli 1883 (GS. 
195) insbesondere dadurch erreicht, daß der 
Bezirksrat und das Bezirksverwaltungsgericht 
in dem Bezirksausschusse zu einer einheitlichen 
Behörde unter dem Vorsitze des Regierungs- 
präsidenten verschmolzen wurden. Zugleich fand 
ein neues Zuständigkeitsgesetz, welches im Jahre 
1880 vergeblich angestrebt war, die Zustimmung 
der Landesvertretung und wurde unterm 
1. Aug. 1883 (GS. 257) erlassen. Damit hatte 
die Verwaltungsreform ihren endgültigen Ab- 
schluß für die östlichen Provinzen gefsunden, 
und es war nunmehr der Weg geebnet, die- 
selbe auch auf die anderen Provinzen auszu- 
dehnen. Dies geschah in rascher Folge durch 
den Erlaß neuer Kreis= und Provinzialord- 
nungen für die Prov. Hannover, Westfalen, 
Hessen-assau, die Rheinprovinz, Schleswig- 
Holstein, und schließlich wurde auch in der 
rov. Posen durch G. vom 19. Mai 1889 
(GS. 108) die neue Verwaltungsgesetzgebung 
zur Einführung gebracht. Damit war die 
Durchführung der Verwaltungsreform in dem 
gesamten Staatsgebiete zu Ende gebracht. 
V. Das LV. vom 30. Juli 1883 stellt sich dar 
als eine Kodifikation der älteren, auf die 
Organisation der Verwaltung bezüglichen all- 
gemeinen Vorschriften und der neueren, in den 
seit 1875 ergangenen Gesetzen enthaltenen Be- 
stimmungen unter Verschmelzung beider zu 
einem einheitlichen Ganzen und Anpassung der 
älteren Vorschriften an die durch die neuen 
Bestimmungen geschaffenen Verhältnisse. Die 
Bestimmungen der seit 1875 ergangenen Verwal- 
tungsgesetze sind durch LV . vom 30. Juli 1883 
sämtlich ausgehoben mit Ausnahme der das 
O. betreffenden Vorschriften §§ 17—30 a und 
88 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 3. Juli 
1875/°2. Aug. 1880 (GS. 328). Das Landes- 
verwaltungsgesetz zerfällt außer den Über- 
gangsbestimmungen in sechs Titel, von denen 
der erste die Grundlagen der Organisation, 
der zweite die Verwaltungsbehörden, der 
dritte das Verfahren — Verwaltungsstreitver- 
fahren und Beschlußverfahren —, der vierte die 
Rechtsmittel gegen Polizeiverfügungen, der 
fünfte die Zwangsbefugnisse und der sechste 
das Polizeiverordnungsrecht behandelt. Die 
Ergänzung des Landesverwaltungsgesetzes bil- 
det das 3G. vom 1. Aug. 1883. Wie schon 
erwähnt, ist die äußere Struktur der preuß.
	        
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