Full text: Handwörterbuch der Preußischen Verwaltung. Erster Band (A-K). (1)

Entmündigung. 
Entmündigung. I. Der Zweck der E. 
besteht darin, jemandem die rechtliche Stellung 
eines Volljährigen zu entziehen oder zu ver- 
hindern, daß ein Minderjähriger sie demnächst 
erlangt. Nach dem BEB. (88 6, 104 Ziff. 3, 
114) kann die E. wegen Geisteskrankheit, 
Geistesschwäche, Verschwendung oder Trunk- 
sucht stattfinden; der letztere Entmündigungs- 
grund ist vom BE. neu eingeführt (s. Trunk- 
sucht). Sie ist bei Minderjährigen und Voll- 
jährigen und auch dann zulässig, wenn der 
zu Entmündigende unter elterlicher Gewalt 
oder Vormundschaft steht. Die wegen Geistes- 
krankheit bewirkte E. hat vollständige Ge- 
schäftsunfähigkeit, die wegen Geistesschwäche, 
Verschwendung oder Trunksucht nur beschränkte 
Geschäftsfähigkeit, also die Gleichstellung mit 
einem Minderjährigen, der das siebente Lebens- 
jahr vollendet hat, zur Folge, und zwar auch, 
wenn sie zu Unrecht aus gesprochen sein sollte 
oder der Entmündigungsgrund inzwischen fort- 
gefallen ist, so daß sog. lichte Zwischenräume 
nicht berüchsichtigt werden. Die E. wegen 
Geisteskrankheit oder Geistesschwäche kann 
erfolgen, wenn der Kranke deswegen seine 
Angelegenheiten nicht zu besorgen vermag, die 
wegen Verschwendung, wenn jemand durch 
diese sich oder seine Familie der Gefahr des 
Notstandes, d. i. bereits eines Aotleidens, aus- 
setzt (s. Verschwender), und die wegen Trunk-= 
sucht, wenn jemand infolge solcher seine An- 
gelegenheiten nicht zu besorgen vermag oder 
sich oder seine Familie der Gefahr des Mot- 
standes aussetzt oder die Sicherheit anderer 
gefährdet (s. Trunksucht). Die E. ist wieder 
aufzuheben, wenn der Grund dazu nachträg- 
lich wegfällt. Erst mit der Aupfhebung tritt 
die frühere Geschäftsfähigkeit wieder ein. Ist 
der Antrag auf E. eines Volljährigen gestellt, 
so kann eine vorläufige Vormundschaft an- 
geordnet werden, um eine erhebliche Gefähr- 
dung der Person oder des Vermögens des zu 
Entmündigenden abzuwenden (8 1906). Der 
unter solcher Vormundschaft Stehende ist be- 
schränkt geschäftsfähig (5 114; s. auch Vor- 
mund und Vormundschaft 1I. Nach § 1885 
Abs. 1 Be. endigt das Amt eines Vor- 
mundes (Pflegers, Gegenvormundes) mit dessen 
E. Wegen der Aufnahme eines wegen Geistes- 
krankheit oder Geistesschwäche entmündigten 
Kranken in Privatanstalten für Geisteskranke 
usw. auf Antrag des Vormundes f. Anw. 
vom 26. AMrz 1901 (MBl. 104; MMIl. 97) 
II. Die E. und ihre Aufshebung hönnen nur 
in dem dafür bestimmten gerichtlichen Ver- 
fahren (ogl. Allg f. über das Verfahren 
bei E. wegen Geisteskrankheit oder wegen 
Geistesschwäche vom 28. Nov. 1899 — JWGl. 
388) stattfinden, das, obwohl es an sich jeden— 
falls teilweise der freiwilligen Gerichtsbarkeit 
rsbort in der 3P. (68 645—687) geregelt 
t(s. Gerichtsbarkeit), und für das in der 
auptsache das Offizialprinzip gilt. Es ist 
für die verschiedenen Fälle der E. im wesent- 
lichen gleich geordnet; in einzelnen Punkten 
weicht das Verfahren wegen Verschwendung 
und Trunksucht von dem wegen Geisteskrank- 
heit und Geistesschwäche ab. Uber die E. so- 
  
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wohl wie über ihre Aufhebung wird zunächst 
durch einen Beschluß des Amtsgerichts, und 
zwar regelmäßig desjenigen, bei dem der zu 
Entmündigende seinen allgemeinen Gerichts- 
stand hat, befunden. Der Beschluß kann, wenn 
er die E. ausspricht, durch die Anfechtungs- 
klage und, wenn er die beantragte Aufhebung 
ablehnt, durch die Aufhebungsklage innerhalb 
einer bestimmten Frist beim Landgericht an- 
gefochten werden; über diese Klage ist im 
Streitverfahren auf Grund mündlicher Partei- 
verhandlung durch Urteil zu entscheiden. Die 
E. erfolgt nur auf Antrag, der sowohl formelles 
Erfordernis für die Einleitung des Verfahrens 
wie sachliche Voraussetzung der E. ist, und zu 
dem der Ehegatte, der gesetzliche Bertreter, so- 
fern ihm auch die Sorge für die Person zusteht, 
und in beschränkter Weise jeder Verwandte 
des zu Entmündigenden sowie der Staatsan- 
walt bei dem vorgesetzten Landgerichte berufen 
sind. Auch wenn der letztere nicht selbst den 
Entmündigungsantrag gestellt hat, ist er be- 
hufs Wahrung des öffentlichen Interesses zu 
einer Mitwirkung bei dem Verfahren befugt. 
Die Anfechtungsklage Kann außer von den 
Antragsberechtigten auch von dem Entmündig- 
ten selbst erhoben werden. Sie ist gegen den 
Staatsanwalt und, wenn dieser die Klage er- 
hebt, gegen denjenigen gesetzlichen Vertreter 
des Entmündigten zu richten, dem die Sorge 
für dessen Person zusteht. Das Anfechtungs- 
verfahren bezweckt die Nachprüfung des Ent- 
mündigungsbeschlusses. Erweist sich die An- 
fechtungsklage als begründet, so geht das Ur- 
teil dahin, daß der Entmündigungsbeschluß 
aufgehoben werde. Die Aufhebung der E., 
weil ihr Grund nachträglich weggefallen sei, 
zu beantragen, sind der Entmündigte selbst, 
sein zur Sorge für die Person befugter gesetz- 
licher Vertreter und der Staatsanwalt be- 
rechtigt. Zur Erhebung der Aufhebungsklage 
gegen den den Antrag ablehnenden Beschluß 
des Amtsgerichts sind befugt der Staatsanwalt 
und der gesetzliche Vertreter des Entmündigten, 
dem die Sorge für die Person zusteht; will 
dieser nicht die Klage erheben, so kann der 
Vorsitzende der zuständigen Kammer des Land- 
gerichts nach seinem Ermessen dem Entmündig- 
ten einen Rechtsanwalt als besonderen gesetz- 
lichen Vertreter beiordnen. Die Klage des 
Staatsanwalts ist gegen den Vertreter, die 
des Vertreters gegen den Staatsanwalt zu 
richten. Bei der E. wegen Verschwendung 
oder Trunksucht ist der Staatsanwalt nicht 
antragsberechtigt, auch zur Mitwirkung am 
amtsgerichtlichen Verfahren nicht berufen; es 
können aber landesgesetzlich Gemeinden, diesen 
gleichstehende Verbände und Armenverbände 
ermächtigt werden, die E. zu beantragen. In 
Preußen ist dies durch § 3 AG. zum G. vom 
17. Mai 1898, betr. Anderungen der 3PO., vom 
22. Sept. 1899 (GS. 284) dahin geschehen, daß 
diese E. auch von dem A#. beantragt werden 
kann, dem die Fürsorge für den zu Entmün- 
digenden im Falle seiner Hilfsbedürftigkeit 
obliegen würde (vgl. hierzu Vf., betr. die An- 
träge der A#. auf E. wegen Verschwendung 
oder Trunksucht, vom 16. Nov. 1899 — MBl. 
227). Ist die E. wegen Trunksucht beantragt,
	        
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