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In der Rheinprovinz sind die Voraus-
setzungen für den Erwerb des G. (G. vom
15. Mai 1856 Art. 11) im wesentlichen dieselben,
wie nach der westfälischen Gem O. Die Ge-
meindeberechtigten werden hier Meistbeerbte
oder Meistbesteuerte genannt (Rhein GemO.
§ 16). Eine Abweichung von den Bestimmungen
der westfälischen GS#eem O. besteht darin, daß in der
ARheinprovinz das G. nur männlichen Per-
sonen zusteht und nicht nur kraft Gesetzes er-
worben, sondern auch an auswärts wohnenden
Grundeigentümern (Forensen), die im Gemeinde-
bezirt kein Wohnhaus, aber die zum Erwerb
des G. erforderlichen persönlichen Eigenschaften
besitzen, aus besonderem Vertrauen durch Be-
schluß des Gemeinderats verliehen werden
kann. Dieses G. eines Forensen erlischt aber bei
Veräußerung von mehr als der Hälfte deines
Grundbesitzes im Gemeindebezirk (Rhein Gem O.
§§ 12, 35, 36). Von mehreren Personen, die im
ungeteilten Besitze eines zum G. befähigenden
Grundstücks sich befinden, kann nur einer das
G. ausüben. Beim Mangel einer gütlichen
Einigung ist dazu zunächst der auf dem Grund-
stüchk selbst wohnende Mitbesitzer berufen, hier-
auf der im Gemeindebezirkt wohnende und
dann erst die übrigen. Unter mehreren Gleich-
berechtigten entscheidet das höhere Alter und
bei gleichem Alter das Los (Gem O. 8§ 35). Hin-
sichtlich des BVerlustes und Ruhens des G. gelten
auch hier im wesentlichen dieselben Bestim-
mungen wie in den östlichen Provinzen (GemO.
§ 37; G. vom 15. Mai 1856 Art. 1.— In jeder
Gemeinde hat der Vorsteher ein Verzeichnis
der Meistbeerbten (Gemeinderolle) zu führen.
Die Streichung eines in dieser Rolle Aufge-
nommenen khann nicht ohne gesetzlichen Grund
und nur nach vorgängiger Mitteilung dieses
Hrundes an den Betreffenden erfolgen (GemO.
III. In der Prov. Hannover, wo der Grund-
besitz die hauptsächlichste Voraussetzung für
die Gemeindezugehörigkeit bildet (Grund-
besitzergemeinde), daneben aber auch
für männliche Personen schon der Wohnsitz
das G. begründen Rhann, wird das G. in der
LoöbO. vom 28. April 1859 als Stimmrecht
bezeichnet. Uber seinen Besitz entscheidet die
bestehende Stimmordnung. War eine solche bei
Erlaß der GemO. vorhanden, so blieb sie weiter
in Kraft (6 3), anderenfalls soll eine Stimm-
ordnung von der Gemeinde unter Berüchsich-
tigung der gesetzlichen BVorschriften der L#.
über das Stimmrecht beschlossen werden. Der
Beschluß unterliegt der Bestätigung bes Kr A.,
der auch auf Beschwerden über die Unbillig-
Rkeit der bestehenden Stimmordnung und auf
Anträge auf ihre Abänderung zu entscheiden
und erforderlichenfalls eine Ergänzung oder
Abänderung der Stimmordnung herbeizuführen
hat (Gem O. 8§ 5, 6, 65; 8SG. § 31). Nach den
Vorschriften der §§ 8—11 Gem. sind stimm-
berechtigt und damit auch im Besitze des G.:
1. ohne Rüchksicht auf Geschlecht, persönliche
Eigenschaften und Wohnort alle Personen,
welche in der Gemeinde ein Gut, ein bebau-
tes Grundstück (einen Hof oder ein für sich be-
stehendes Wohnhaus) eigentümlich oder nieß-
bräuchlich besitzen; 2. alle in der Gemeinde
Gemeindeschreiber — Gemeindestatuten.
wohnenden und einen eigenen Haushalt füh-
renden Männer, sofern sie nicht zu schweren
Strafen verurteilt, unbescholten und selbständig
sind; 3. die auswärts wohnenden Besitzer un-
bebauter Grundstücke im Gemeindebezirk, wenn
sie zu den Gemeindelasten herangezogen wer-
den, und zwar mindestens in den betreffenden
Angelegenheiten (ogl OV. 12, 25). Als be-
scholten gelten diesenigen, die wegen eines nach
der öffentlichen Meinung entehrenden Ver-
brechens oder Vergehens bestraft oder zur Un-
tersuchung gezogen sind, ohne völlig freige-
sprochen oder außer Verfolgung gesetzt zu sein.
Außerdem können Personen, die „durch unsitt-
liche Handlungen sich der öffentlichen Achtung
verlustig gemacht haben, oder wegen eines
peinlichen, wenn auch nicht entehrenden Ver-
brechens“ zur Untersuchung gezogen und nicht
völlig freigesprochen oder außer Verfolgung
gesetzt sind, auf Antrag der Gemeinde ihres
Stimmrechts verlustig erklärt werden. Ihnen
und den bescholtenen Personen Rann auf An-
trag der Gemeinde das Stimmrecht wieder
verliehen werden (LEO. § 9). Als unselb-
ständig gelten Minderfährige und alle Perso-
nen, die unter Vormundschaft oder in Kost und
Lohn stehen, sich im Konkurs befinden oder
öffentliche Armenunterstützung erhalten oder
im letzten Jahre vor der Abstimmung erhalten
haben (§ 10). Die Ausübung des Stimmrechts
setzt voraus, daß das betreffende Gemeinde-
mitglied zu den Gemeindelasten, sofern solche
erhoben werden, veranlagt ist und mit seinen
Beiträgen nicht im Rückstande ist (§ 11). Zu
Gemeindebeamten wählbar sind nur solche Per-
sonen, welche die persönlichen Voraussetzungen
des Stimmrechts der Richtansässigen (oben
Ziff. 2) erfüllen und nicht nach gesetzlicher Be-
stimmung zur Bekleidung öffentlicher Amter
unfähig sind.
Gemeindeschreiber. Zur Besorgung des
Schreibwerks kann in den Landgemeinden ein
G. angestellt werden, welcher zu den besoldeten
Gemeindebeamten gehört. Im Bereiche der
LGO. f. d. ö. Pr. vom 3. Juli 1891 (GS. 233)
hat die Gemeinde die Einrichtung einer Dienst-
stelle dieser Art zu beschließen. Die Ernennung
erfolgt nach den §§ 88 Abs. 4 Ziff. 5 und 117
durch den Gemeindevorsteher. Eine Bestätigung
ist nicht erforderlich (Erl. vom 3. Sept. 1892 —
AMl. 293 — Ziff. 2 und Ausf Anw. III vom
29. Dez. 1891, A UI Ziff. 5 — M l. 92, 9).
Gemeindestatuten. I. G. (Drtsstatuten, sta-
tutarische Anordnungeng sind geschriebenes ört-
liches Recht der Gemeinde, das auf ihrer Selbst-
gesetzgebung (Autonomie) beruht. Sie bilden
einen Teil des geschriebenen Ortsrechts im
Gegensatz zu dem ungeschriebenen, dem Her-
kommen (s. Gewohnheitsrecht). Ein G.kann
nicht die Ordnung eines Einzelfalles zum Gegen-
stand haben, sondern nur die allgemeine, in
allen zukünftigen Fällen zur Geltung gelan-
gende Regelung einer Angelegenheit. Es
stellt daher objektives Recht dar, und zwar in
der Regel örtliches Verfassungsrecht. Die Be-
fugnis zum Erlaß von G. ist in den Stadt-
gemeinden der Rest der eigenen Gesetzgebungs-
gewalt, die im Mittelalter den Städten im
weitesten Umfange zustand, später durch die