Full text: Handwörterbuch der Preußischen Verwaltung. Erster Band (A-K). (1)

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bezirken durch den Gutsvorsteher, der sich 
selbst dazu ernennen kann. Auch die Frage 
der Fähigkeit zum Waisenratsamte ist nach 
denselben Merkmalen wie bei anderen Ge— 
meindeämtern zu beantworten. Frauen können 
daher nicht Waisenräte sein. Die Bestellung 
von Geistlichen ist zulässig (Erl. des Ev. Ober- 
kirchenrats vom 14. Aärz 1876 — M.Bl. 68 — 
und Erl. vom 21. April 1876 — Ail. 97). 
Die Bestellung zum Waisenrat erfolgt in der 
Regel auf Lebenszeit. Die Gemeindeglieder 
(stimmfähigen Bürger) sind verpflichtet, das 
Amt eines Waisenrats zu übernehmen und 
mindestens drei Jahre lang zu verwalten. 
Zur Ablehnung oder früheren Aiederlegung 
berechtigen insbesondere anhaltende Krankheit, 
ein Alter von mehr als 60 Jahren und Ge- 
schäfte, die eine häufige oder lange Abwesen- 
heit vom Orte mit sich bringen, sowie über- 
haupt besondere Verhältnisse, die nach dem 
Ermessen der Gemeindevertretung (Stadtver- 
ordnetenversammlung) eine gültige Entschuldi- 
gung begründen. Wer sich ohne einen solchen 
Grund weigert, das Amt zu übernehmen oder 
es nach der Ubernahme drei Jahre hindurch 
zu versehen, oder wer sich der Verwaltung 
tatsächlich entzieht, Kann auf drei bis sechs 
Jahre der Teilnahme an der Gemeindever- 
waltung und Gemeindevertretung, in Städten 
der Ausübung des Bürgerrechts, für verlustig 
erklärt und um 1½8 bis 1/ stärker zu den Ge- 
meindeabgaben herangezogen werden, wobei 
ebenso wie sonst (ZG. 8§ 11) die Klage im Ver- 
waltungsstreitverfahren gegen die Maßregel 
stattfindet. Eine besondere Form der Ver- 
pflichtung, insbesondere eine Vereidigung, ist 
nicht vorgeschrieben. Einer Bestätigung bedarf 
der Waisenrat nicht. Staatsbeamte haben zur 
Annahme des Amtes die Genehmigung ihrer 
vorgesetzten Behörde einzuholen. Der G. steht 
selbständig neben dem Bormundschaftsgerichte, so 
daß dieses namentlich keine Aufsicht und kein 
Ordnungsstrafrecht gegenüber den Waisenräten, 
sondern nur die Beschwerde bei dem Magistrat, 
in der Rheinprovinz bei dem Bürgermeister, 
in den Landgemeinden bei dem Landrate hat. 
II. Die Aufgaben des G. sind: Er hat 
1. wenn er von einem Falle Kenntnis erlangt, 
in welchem ein Vormund, ein Gegenvormund 
oder ein Pfleger zu bestellen ist, dem Vor- 
mundschaftsgericht Anzeige zu erstatten und 
hierbei zugleich sowie sonst auf Erfordern des 
Vormundschaftsgerichts im einzelnen Falle die 
Personen vorzuschlagen, die sich zum Vormunde, 
Gegenvormunde, Pfleger oder Mitglied eines 
amilienrats eignen (FGG. 8 49; BGB. 
§ 1779 Abs. 1, 1849); 2. in Unterstützung des 
Vormundschaftsgerichts darüber zu wachen, 
daß die Vormünder für die Person der Mündel, 
insbesondere für ihre Erziehung und ihre 
Rörperliche Pflege, pflichtmäßig Sorge tragen, 
und dem Vormundschaftsgerichte Mängel und 
Pflichtwidrigkeiten, die er in dieser Hinsicht 
wahrnimmt, anzuzeigen (BEB. 8 1850 Abs. 1, 
ohne jedoch insoweit Zwangsmittel gegen die 
Vormünder zu haben, vielmehr nur mit dem 
Rechte zu Ratschlägen, Ermahnungen an sie 
und zu Anzeigen an das Vormundschafts- 
gericht; 3. auf Erfordern über das persönliche 
  
Gemeindewaldungen — GEemeindewege. 
Ergehen und das Verhalten eines Mündels 
Auskunft zu erteilen (§ 1850 Abs. 1); 4. wenn 
er Kenntnis von einer Gefährdung des Ver- 
mögens eines Mündels erlangt, dem Vor- 
mundschaftsgericht Anzeige zu machen (§ 1850 
Abs. 2); 5. von einer Veränderung des Aufent- 
halts des Mündels dem G. des neuen Aufent- 
haltsorts Mitteilung zu machen (8 1851 Abs. 2;: 
6. dem Vormundschaftsgericht Anzeige zu er- 
statten, wenn ein Fall zu seiner Kenntnis 
kommt, in welchem dieses zum Einschreiten 
bei elterlicher Gewalt berufen ist (88 1675, 
1686); 7. den zur Stellung eines Antrags auf 
Fürsorgeerziehung (s. d.) verpflichteten Behör- 
den alle die Fälle zur Kenntnis zu bringen, 
in denen eine Fürsorgeerziehung eintreten Rkann, 
und den Kommunalverbänden zur Ermitt- 
lung geeigneter Familien behilflich zu sein 
und die erforderliche Auskunft zu geben 
(AusfBest. vom 18. Dez. 1900 — M l. 1901, 27 
— Nr. II u. V). Die Tätigkeit des G., ins- 
besondere die Aufsicht, erstreckt sich auf alle 
Wündel, welche sich in seinem Bezirke jeweilig 
aufhalten, ohne Rückhsicht auf ihren gesetz- 
lichen Wohnort und auf den Wohn= und 
Aufenthaltsort des Vormundes oder den 
Sitz des Vormundschaftsgerichts, anderer- 
seits aber auch nur auf Akündel, welche in 
seinem Bezirk ihren regelmäßigen Aufent- 
halt haben. Nach § 57 Ziff. 9 FG. ist 
der G. ferner berechtigt, im Interesse des 
Mündels über die Sorge für die Person des 
Mündels betreffende Verfügungen des Vor- 
mundschaftsgerichts Beschwerde zu führen. Das 
Vormundschaftsgericht hat dem G. die Anord- 
nung der Vormundschaft über einen sich in 
dessen Bezirk aufhaltenden Mündel unter Be- 
zeichnung des Vormundes und des Gegenvor- 
mundes sowie einen in deren Person eintreten- 
den Wechsel mitzuteilen; in entsprechender 
Weise hat, wenn der Aufenthalt eines Mün- 
dels in den Bezirk eines andern G. verlegt 
wird, der Vormund dem G. des bisherigen 
Aufenthalts die Verlegung mitzuteilen (§ 1851 
Abs. 1 u. 2; vgl. auch die Vf. vom 20. u. 
30. Nov. 1899 — All. 1899, 228; 1900, 2). 
Durch mehrfache Erl. ist die Führung von 
Waisenlisten, die Beteiligung der Geistlichen 
an der Waisenpflege und die Abhaltung regel- 
mäßig wiederkehrender Versammlungen der 
Waisenräte unter Beteiligung der Vormund- 
schaftsrichter empfohlen, auch wegen der durch 
die Abhaltung solcher Sitzungen entstehenden 
Reisekosten Bestimmung getroffen worden, 
so neuestens wieder durch die Vf. des JM. 
vom 25. Jan. 1906 (JMhl. 29). S. auch 
Waisenpflegerinnen und Fürsorger. 
Gemeindewaldungen s. Forsten, Staats- 
aufsicht über die Forsten usw. 
Gemeindewege sind diesenigen Wege, be- 
züglich deren die Wegebaulast der Gemeinde 
(Gutsbezirk) oder einem aus Gemeinden (Guts- 
bezirken) gebildeten Zwechverbande obliegt 
(Wegeordnung für Sachsen vom 11. Juli 1891 
— 6. 316 — 85§5 17, 18; Wegeordnung für 
Westpreußen vom 27. Sept. 1905 — GS. 357 — 
§§ 14, 17; Hann. Wegegesetz vom 28. Juli 1851 
— HannE . Abt. 1 S. 181 — §§ 9, 24; Kur- 
hesschem O. vom 23. Okt. 1834 — GS. 81 —
	        
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