Full text: Handwörterbuch der Preußischen Verwaltung. Erster Band (A-K). (1)

Gendarmerie. 
sich auf mehrere Kreise erstreckt, ist dies 
insofern eingeschränkt, als diese zwar den 
Landräten ihres Bezirks untergeordnet sind, 
aber nur in außergewöhnlichen Fällen zum 
Dienst herangezogen werden sollen, da sie 
sonst ihre Funktion als militärische Aufsichts- 
instanz für die Gendarmen nicht würden er- 
füllen können. Sie haben sich aber, so oft 
sie den Kreis= oder Wohnort des Landrats 
passieren, bei ihm zu melden und ihm Bericht 
zu erstatten (KabO. vom 19. Juli 1823; Re- 
stript vom 8. Aug. 1823 — v. Kamptz 7, 
646; Erl. vom 2. Juli 1842 — Ml. 308). Für 
Oberwachtmeister, deren Funktion sich nur auf 
einen Kreis beschränkt, gelten die nicht ver— 
öffentlichten „Erläuternden Bestimmungen" vom 
23. Juni 1894, aus denen hervorzuheben ist, 
daß die in Rede stehenden Oberwachtmeister 
auch für zivildienstliche Zwecke, wie die übri- 
gen Gendarmen, zur Verfügung stehen und 
die militärische Kontrolle mit ihrer zivildienst- 
lichen Tätigkeit gleichzeitig auszuüben haben. 
Vorbehaltlich der dem Landrate zustehenden 
Bestimmung über die Verwendung der Gen- 
darmen sind diese Oberwachtmeister befugt, 
innerhalb des ihnen überwiesenen zivildienst- 
lichen Geschäftskreises den Gendarmen be- 
stimmte Aufträge zu erteilen. — Wenn die 
Gendarmen von den Zivildienstbehörden zu 
außerordentlichen Aufträgen oder Leistun- 
gen herangezogen werden, sind die Miilitär- 
vorgesetzten vorher, in dringlichen Fällen 
wenigstens gleichzeitig, zu benachrichtigen (Erl. 
vom 30. Aug. 1824 — v. Kamptz 8, 865 — 
und vom 3. März 1842 — UMl il. 66). Die 
Ortspolizeibehörden haben zeinerlei Dienst- 
aussicht über die Gendarmen, jedoch das BRecht, 
in polizeilichen Angelegenheiten innerhalb des 
Patrouillenbezirts des Gendarmen diesen zu 
requirieren, d. h. um Erledigung polizeilicher 
Geschäfte anzugehen. Solchen Regquisitionen 
haben die Gendarmen zu entsprechen (s. u. a. 
rO. f. d. 5. Pr. § 65 Abs. 2). Um die Re- 
quisitionen, auf die die ländlichen Ortspolizei- 
behörden vielfach für die Exekutivgeschäfte 
ihres Bezirks allein angewiesen sind, zu er- 
leichtern, ist bestimmt, daß die Gendarmen bei 
ihren Patrouillen in den von ihnen berührten 
Orten die Polizeibehörde oder deren Ver- 
treter von ihrer Anwesenheit und deren Zweckh 
in Kenntnis setzen sollen, um eventuell BRe- 
quisitionen gleich entgegen zu nehmen (Erl. 
vom 18. Aug. 1842 — AMll. 307). In Fällen 
mündlicher Anzeigen, Meldungen usw. des 
Gendarmen bei den Ortspolizeibehörden oder 
den Gemeinde= und Gutsvorstehern als deren 
Organen, ebenso bei Ablieferung von In- 
haftaten und in dergleichen Fällen haben die 
die Anzeige oder Alitteilung empfangenden 
Behörden oder Beamten den Empfang der 
betreffenden Mitteilung, die Einlieferung des 
Inhaftaten usw. in dem vom Gendarmen zu 
führenden und dem Landrate regelmäßig vor- 
zulegenden Tagebuch (Dienstjournal) zu 
bescheinigen (Dienstinstruktion § 29; Erl. vom 
10. Mai und 15. Juni 1841 — All. S. 120, 
72 — und vom 1. April 1890 — UMl. 60). 
Alle Militär-, Zivil= und Gemeinde-, insbe- 
sondere auch die Polizeibehörden haben im 
  
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übrigen die Gendarmen in Ausübung ihrer 
Pflichten auf Requisition kräftigst zu unter- 
stützen und ihnen die nötige Hilfe augen- 
blichlich und unweigerlich zu leisten, auch 
ihnen alle erforderlichen und nützlichen Miit- 
teilungen und Nachweisungen zu geben, deren 
sie bedürfen (Gendarmerieverordnung 8§ 15 
bzw. 19). Zu diesem Behufe wird den Gen- 
darmen auch der öffentliche Anzeiger des 
Regierungsamtsblattes unentgeltlich geliefert 
(Erl. vom 14. Jan. 1865 — AlBl. 21). Wegen 
des Waffengebrauchs der Gendarmen s. 
§ 28 der Gendarmerieinstruktion vom 30. Dez. 
1820. Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft 
sind die Gendarmen nicht. 
V. Zum Eintritte in die G. sind nur 
solche Unteroffiziere zugelassen, die neun Jahre 
aktiv im Heere oder in der Marine gedient 
haben (Preuß. Bestimmungen zu § 1 der 
Grundsätze für die Besetzung der Subaltern- 
und Unterbeamtenstellen usw. vom 7. und 
21. März 1882 — M.hBl. 225). Die Gendar- 
merieoffiziere werden vom Könige ernannt, 
die Gendarmen vom Chef der Landgendar- 
merie nach sechsmonatiger Probedienstzeit auf 
Grund eines von den Zivilbehörden zu requi- 
rierenden, auf kreisärztliches Gutachten ge- 
stützten Attestes über die physische Leistungs- 
fähigkeit. Gesetzliche Mindestvoraussetzungen 
sind der unverletzte Ruf der Treue, Ehrlich- 
keit, Aüchternheit, und eines untadelhaften, 
von Bestrafungen wegen gemeiner Bergehen 
freien Lebens, ferner Fertigkeit im Lesen, 
Schreiben und Rechnen, endlich gesunder 
starter Körperbau und gute natürliche Geistes- 
anlagen (Gendarmerieverordnung von 1820 
§ 6; Reskr. vom 4. Febr. 1825 — v. Kamptz 
9, 166; ME. vom 7. Dez. 1893 — A.#. 
259). Die Vereidigung erfolgt durch die 
Militärvorgesetzten (Restr. vom 22. Dez. 
1829 — v. Kamptz 13, 562). Die Aus- 
bildung zum Gendarmen, desgleichen zum 
Oberwachtmeister und Gendarmerieoffizier wird 
neuerdings in sog. Gendarmerieschulen 
(s. d.) planmäßig betrieben. Den angestellten 
Gendarmen gegenüber hat die Zivildienstbe- 
hörde Reine selbständige Disziplinargewalt, 
vielmehr nur die Möglichkeit, den Gendarmen, 
wenn Zurechtweisungen nichts fruchten, zur 
(militärischen) Dis ziplinarbestrafung zu 
bringen, oder seine Abberufung herbeizuführen 
(ogl. Gendarmerieverordnung § 17). Wird 
die Entlassung wegen unmoralischer Führung 
nötig, so fällt auch die Einleitung des Ver- 
fahrens den Militärvorgesetzten ausschließ- 
lich zu (KabO. vom 22. Aug. 1829; Erl. vom 
12. Juni 1850 — M. Bl. 179). Der Ziovilbe- 
hörde steht indessen das Recht zu, einen Gen- 
darmen vorläufig vom Amte zu suspendieren, 
zur Untersuchung zu ziehen und erforderlichen- 
falls zu verhaften (Gendarmerieverordnung 
§ 11). In strafrechtlicher Beziehung sind 
egenüber Gendarmen auf Grund EG. zur 
St GEO. vom 1. Dez. 1898 (Rl. 1289) die 
Militärgerichte zuständig, während von dem 
materiellen Miilitärstrafrechte neben den Be- 
stimmungen des BReichsmilitärstrafgesetzbuches 
nach § 2 Abs. 2 E. zu demselben vom 
20. Juni 1872 (Röl. 173) noch die Vor-
	        
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