Full text: Handwörterbuch der Preußischen Verwaltung. Erster Band (A-K). (1)

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soweit diese ohne Schöffen erfolgen können, 
auf den ersteren alle ihrer Natur nach zur Er- 
ledigung auf dem G. geeigneten Geschäfte aus 
dem Gerichtstagsbezirke mit der Maßgabe, 
daß Hauptverhandlungen in Strafsachen außer 
den bezeichneten sog. einfachen Forstdiebstahls- 
sachen überhaupt nicht und mündliche Verhand- 
lungen in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten 
regelmähig nur dann, wenn sämtliche Parteien 
in dem Gerichtstagsbezirke wohnen und keine 
von ihnen durch einen Prozeßbevollmächtigten 
vertreten ist, abgehalten werden. Auf Helgo- 
land besteht ein G. nebst Schöffengericht mit 
dem Sitze daselbst (G. vom 4. Juni 1893 — 
Rl. 193). Die Kosten der Reise der Ge- 
richtsbeamten zum G. werden den Parteien 
nicht in Rechnung gestellt (Prech#G. vom. 
25. Juni 1895 in der Fassung vom 6. Okt. 
1899 — GS. 1899, 326 — 8 139). 
Gerichtsverfassungsgesetz. Für die ein- 
heitliche Regelung der ordentlichen streitigen 
Gerichtsbarkeit im Deutschen Reiche, wie sie 
durch die Z PO., die St PO. und die KO. er- 
folgen sollte und demnächst auch erfolgt ist, 
war eine gleichmäßige Organisation der Ge- 
richte die notwendige Voraussetzung. Diese 
Organisation ist durch das mit jenen Ord- 
nungen am 1. Okt. 1879 in Kraft getretene 
GVS. vom 27. Jan. 1877 (REl. 41) nebst 
EG. dazu von demselben Tage (RGBl. 77) 
getroffen worden. Zur Ergänzung ergingen 
in den nächsten Jahren insbesondere das G. 
über den Sitz des RG. in Leipzig vom 
11. April 1877 (RGBl. 415), die Rechtsan— 
waltsordnung vom 1. Juli 1878 (RGBl. 177) 
und die Kostengesetze für Gerichte, Gerichts— 
vollzieher, Zeugen, Sachverständige und Rechts- 
anwälte. Nachdem das GW. bereits durch 
das G., betr. Abänderung des § 1376VSE., vom 
17. März 1886 (RöBl. 61) und das G., betr. 
die unter Ausschluß der Offentlichkeit statt- 
findenden Gerichtsverhandlungen, vom 5. April 
1888 (Röl. 133) nicht unwichtige Anderungen 
erfahren hatte, wurden weitere Anderungen 
und Ergänzungen infolge des BE. und der 
damit zusammenhängenden Gesetzgebung not- 
wendig. Demgemäß bestimmte das EGBG. 
Art. 1, daß außer einem ZW., einer GB0. 
und einem F#. auch gleichzeitig mit dem 
BGB. ein G., betr. Anderungen des GV., 
der 3PO. und der K0O., in Kraft treten solle. 
Das G., betr. Anderungen des GV., ist am 
17. Mai 1898 (RBl. 252) ergangen und das 
GVG. darauf am 20. Mai 1898 in der hünf- 
tig maßgebenden Fassung bekanntgemacht 
worden (Rö#l. 371). Durch die G., betr. 
Anderung des § 113 GV., vom 20. März 
1905 (ROl. 179) und betr. Anderungen des 
GVG., vom 5. Juni 1905 (REl. 533) ist 
das GVE. von neuem insoweit, als es die 
Eigenschaften der Handelsrichter bestimmt 
und die Zuständigkeit der Schöffengerichte 
ordnet, geändert worden. Es zerfällt in 
die 17 Titel: Richteramt, Gerichtsbarkeit, 
Amtsgerichte, Schöffengerichte, Landgerichte, 
Schwurgerichte, Kammern für Handelssachen, 
Oberlandesgerichte, Reichsgericht, Staatsan- 
anwaltschaft, Gerichtsschreiber, Zustellungs- 
und Vollstreckungsbeamte, Rechtshilfe, Offent- 
  
  
  
  
Gerichtsverfassungsgesetz — Gerichtsvollzieher. 
lichkeit und Sitzungspolizei. Gerichtssprache, 
Beratung und Abstimmung und Gerichtsferien, 
mit 204 Paragraphen. Die Lückhe, die es 
dadurch enthält, daß es sich nur auf die 
ordentliche streitige Gerichtsbarkeit, welche die 
ordentlichen Gerichte in den ihnen zugewiese- 
nen bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, den Straf- 
sachen und dem Konkursverfahren üben, be- 
zieht, ist für die freiwillige Gerichtsbarkeit 
durch das FG#. ausgefüllt worden, und zwar 
in der Weise, daß dieses sich vollständig auf 
den Boden der im GW. getroffenen Orga- 
nisation gestellt hat. Für die besondere streitige 
Gerichtsbarkeit hat sich die Lücke wenigstens 
verringert, indem die Reichsgesetze, welche die 
reichsrechtlich geregelten Sondergerichte: Bun- 
desamt für das Heimatwesen, Gewerbegerichte, 
Kaufmannsgerichte usw. betreffen, auch die er- 
forderlichen Bestimmungen über die Verfassung 
dieser Sondergerichte enthalten. Für die Milli- 
tärgerichte kommt der erste Teil der MSt G. 
vom 1. Dez. 1898 (Rl. 1189): „Gerichts- 
verfassung“ in Betracht. Für die Konsular- 
gerichte und die Schutzgebietsgerichte ist die 
Verfassung ebenfalls in den über sie erlasse- 
nen Gesetzen mitgeordnet. Endlich finden sich 
einzelne die Gerichtsverfassung berührende Be- 
stimmungen in den übrigen Reichsjustizgesetzen, 
deren Aeben= und Ergänzungegesetzen sowie 
auch mitunter noch in anderen Gesetzen. Zum 
GVe. sind in den einzelnen deutschen Bundes- 
staaten Ausführungsgesetze erlassen worden, in 
Preußen das vom 24. April 1878 (G. 230). 
Gerichtsvollzieher. I. Mit den Zustellun- 
gen, Ladungen und Vollstreckungen bei 
den Gerichten sind regelmäßig besondere 
Beamte, die G., betraut, deren Dienst= und 
Geschäftsverhältnisse beim RG. durch den RK., 
bei den Landesgerichten durch die Landesjustiz- 
verwaltung, in Preußen durch den JM. be- 
stimmt werden (GVG. 8 155; AG. z. GVG. 
8 73) und dort in den Vorschriften vom 
11. Mai 1883 (ZBl. 159), hier in der Gerichts- 
vollzieherordnung (GV0O.) vom 31. MAlärz 1900 
(JMVBl. 345) und in der Geschäftsanweisung vom 
1. Dez. 1899 (JMl. 629) — beide inzwischen 
mehrfach abgeändert, z. B. durch die Allg #f. 
vom 6. Jan. 1903 (I I. 8), vom 18. April 
1905 (JMl. 127), und vom 16. Jan. 1906 
(JAl. 9), ferner noch die Geschäftsanweisung 
z. B. durch die Allg Vf. vom 8. April 1903 
(JMlI. 82) und aus Anlaß des G., betr. 
die Wechselproteststunden, vom 1. Juni 1904 
(GS. 73) durch die Vf. vom 20. Juni 1904 
(I„Ml. 155) — bestimmt sind. Für das Ge- 
richtsvollzieherwesen beim Amtsgericht 1 in 
Berlin, jetzt Berlin-Mitte, gelten besondere 
Vorschriften. Die von Amts wegen zu bewirken- 
den Zustellungen werden durch den Gerichts- 
schreiber in einem vereinfachten Verfahren ver- 
anlaßt (3PO. 88 208 ff.; St PO. 8 37; RO. 865) 
und sind nur ganz ausnahmsweise von den G. 
zu bewirken (z. B. PrGG. Art. 26). Dagegen 
besorgen die letzteren die von den Parteien zu be- 
treibenden Zustellungen (ZP. § 166). Ferner 
bewirken sie, während die Zwangsvollstrechun- 
gen wegen Geldforderungen aus Entscheidungen 
und Anordnungen der Verwaltungsbehörden, 
Verwaltungsgerichte, Auseinandersetzungsbe-
	        
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