Full text: Handwörterbuch der Preußischen Verwaltung. Erster Band (A-K). (1)

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dung die Gymnasien. Sie erhalten ihren 
Normallehrplan durch das Reskr. vom 
24. Oktober 1837 (v. Kamptz 21, 978). Die 
Schüler werden erst vom zehnten Lebensjahr 
an aufgenommen. Es bestehen sechs Klassen, 
drei untere mit einjährigem, drei obere mit 
zweijährigem Kursus. Unterrichtsgegenstände 
sind: Lateinisch (86 Stunden von Sexta an), 
Eriechisch (42 Stunden von Quarta an), Deutsch 
(22 Stunden), Französisch (12 Stunden von 
Tertia an), Religion (18 Stunden), Mathematik 
(25 Stunden von Quarta an), Rechnen (Sexta, 
Quinta 8 Stunden), Physik (Sekunda, Prima 
6 Stunden), philosophische Propädeutik (Prima 
4 Stunden), Geschichte und Geographie (24 Stun- 
den), Naturkunde (Sexta bis Tertia 10 Stun- 
den), Zeichnen (Sexta bis Quinta 6 Stunden), 
Schreiben (Sexta bis Quarta 7 Stunden), Ge- 
sang (Sexta bis Tertia 10 Stunden), im ganzen 
280 Stunden. Eine Vf. vom 7. Jan. 1856 
(U BBl. 1859, 162) ließ den Plan im all- 
gemeinen bestehen und nur die philosophische 
Propädeutik fallen, nahm dem Rechnen, der 
Mathematik und Naturhkunde 4 Stunden, 
dem Deutschen 2 Stunden, vermehrte aber 
die Zahl der Stunden in Religion (2), in 
Geschichte (1) und Französisch * Unter dem 
A-inisterium Falk wurde eine Reform ge- 
plant, indes erst 1882 (MU.ZBl. 233) durchge- 
führt; sie bestand unter Beibehaltung der 
Gesamtstundenzahl in einer Verringerung des 
lateinischen (9 Stunden) und guriechischen 
(2 Stunden) Unterrichts, dagegen in einer 
Vermehrung des französischen (4 Stunden), 
geschichtlichen (3 Stunden), mathematischen 
(2 Stunden) und naturkundlichen (4 Stunden) 
Unterrichts. Eleichzeitig (1882) wurde in den 
Realschulen erster Ordnung der latein. Unter- 
richt um 10 Stunden vermehrt, dagegen der 
mathematische um 3, der naturkundliche um 4, 
der deutsche um 2, der Religionsunterricht 
um 1 Stunde verringert und damit eine An- 
näherung der beiden Schularten herbei- 
eführt. Man glaubte, daß das G. hiernach den 
Vedürfnisfen des modernen Lebens besser Rech- 
nung tragen könne, und daß andererseits die 
Realschule (Realgymnasium) eine dem G. gleich- 
wertige Stellung im öffentlichen Leben erringen 
und die dem letztern gewährten Berechtigungen 
erhalten werde. Waren doch den Realschul- 
abiturienten die Pforten der Universität und 
damit zu den gelehrten Berufen fast verschlossen. 
Aur für das Studium der Mathematik, der 
Vaturwissenschaften und der neueren Sprachen 
wurden die Abiturienten seit 1870 (U#ZBl. 
1871, 13) zugelassen. Freilich wurde durch diese 
Annäherung beider Schularten der Kampf 
zwischen humanistischer und realistischer Bil- 
dung, zwischen Geistes= und Naturwissenschaf- 
ten nicht beseitigt. Es bedurfte nur eines An- 
stoßes, um ihn aufs neue zu entfachen. Dieser 
Anstoß Kam von innen und von außen. Je 
mehr in den G. neben den Blassischen Sprachen 
die modernen, neben der Geschichte die Mathe- 
matik und Naturwissenschaften gepflegt wur- 
den, um so mehr mußte eine Zersplitte- 
rung, eine Berflachung, eine Uber- 
bürdung eintreten. Die Schulen konnten 
weder dem einen noch dem andern genügen. 
  
Gymnasien und andere höhere Schulen. 
So kam es schon nach wenigen Jahren 
zu neuen Verhandlungen über ihre Reform, 
u der sog. Dezemberkonferenz von 1890 
l. Verhandlungen über Fragen des höheren 
Unterrichts, Berlin 1891, U3Bl. 1892, 343), 
deren Ergebnisse in den Lehrplänen von 
1892 (U ZBl. S. 199, 203, 267, 343) nieder- 
gelegt wurden. Zur Verhütung einer Uber- 
bürdung vermindern sie die Gesamt- 
stundenzahl um 16, vermehren dagegen 
den Unterricht im Deutschen um 5 Stun- 
den, den Unterricht im Zeichnen im prak- 
tischen Interesse um 2 Stunden und legen 
fast den gesamten Ausfall dem Unterricht 
in den klassischen Sprachen auf, indem sie 
den lateinischen um 15, den griechischen 
um 4 Stunden verkürzen; daneben werden 
vom französischen Unterricht und von dem- 
jenigen in der Geschichte je 2 Stunden ge- 
strichen. In letzterer wird die ältere Ge- 
schichte zurüchgedrängt, die modernste hinzu- 
genommen, großer Wert auf die deutsche und 
preuß. Geschichte und die großen vaterländi- 
schen Begebenheiten gelegt. Deutsche Sprache, 
deutsche Literatur, deutsche Geschichte sollen 
fortan der einheitliche Grund der nationalen 
Bildung sein, auf dem die verschiedenen Seiten 
des Lebens, die ideale und die praktische, sich 
entwickeln. Der Lehrplan der Realgymnasien 
wird um 21 Stunden gekürzt, wovon wieder- 
um 11 auf das Lateinische, die übrigen zum 
Teil gleichmäßig auf die neueren Sprachen, 
Realien und Zeichnen entfallen. Das Real- 
gymnasium selbst wurde von der Konferenz 
für eine lebensunfähige Schöpfung erklärt, 
gegenüber dem G. und der lateinlosen Ober- 
realschule. Letztere, welche erst mit dem all- 
gemeinen Aufsschwung des industriellen und 
kaufmännischen Lebens seit 1882 entstanden, 
sich wesentlich neben den ethisch-historischen 
Fächern der Pflege der modernen Sprachen, 
der Mathematik, der Aaturwissenschaften und 
des Zeichnens widmeten, wurden von der 
Reform des Jahres 1892 am wenigsten be- 
rührt. Nur wurde auch bei ihnen die Ge- 
samtstundenzahl um 18 verringert und dadurch 
der franz. Unterricht von 56 auf 47 Stun- 
den, das Zeichnen von 24 auf 16 Stunden, 
die übrigen Disziplinen um ein geringes ver- 
Rkürzt, während der deutsche Unterricht um 
4 Stunden vermehrt wurde. Hatten hierdurch 
die klassischen Sprachen gegenüber dem bis 
1882 bestehenden Zustand an den G. um 
30 Stunden eingebüßt, so mußte naturge- 
mäß dies auch in den Prüfungsordnungen 
zum Ausdruch kommen. Die Abiturienten- 
prüfungsordnung von 1892 (MUZBl. 1892, 
281 ff.) läßt daher den latein. Aufsatz fallen 
und verlangt im Griechischen nur eine Uber- 
setzung aus dem Griechischen statt einer 
solchen aus dem Deutschen. Um einer Uber-- 
bürdung vorzubeugen, wird in der münd- 
lichen. Prfung in der Geschichte nur das in der 
Prima durchgenommene Pensum behandelt. — 
Immer mehr kam indes die Uberzeugung 
zur Geltung, daß bei dieser Beschränkung der 
Unterricht in den klassischen Sprachen seiner 
eigentlichen Aufgabe nicht mehr genügen hönne. 
Andererseits war die Frage der Berechtigung
	        
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