214 Offentliches Recht — Offentlichkeit in der Rechtspflege und in verwandten Gebieten
das Gemeinwesen“ soviel als „im öffentlichen
Interesse“. Für den Prozeß wird von einer
Beteiligung des ö. J. gesprochen, ohne jedoch
dessen Begriff hierfür näher festzustellen, und
zwar dahin, daß sie im Strafprozeß außer bei
den Fällen der Privat= und der Nebenklage immer
bestehe und hierbei das ö. J. durch die Staats-
anwaltschaft wahrgenommen werde, daß sie im
Zivilprozeß ausnahmsweise, nämlich bei Ehe-
sachen, Feststellung des Rechtsverhältnisses zwi-
schen Eltern und Kindern und Entmündigungs-
sachen, sowie bei der Anfechtung einer Todes-
erklärung (Z3PO. 88 600 ff., 974 Abs. 2), vor-
handen sei und insoweit ebenfalls durch die
Staatsanwaltschaft wahrgenommen werde, und
daß im Verwaltungsstreitverfahren, wenn nicht
immer, z. B. gewiß nicht bei den Ersatzansprü-
chen in Schul-, Wegebau-, Räumungs= und
Wildschadenssachen, so doch regelmäßig das ö. J.
beteiligt sei. Auch wenn das letztere für das
Verwaltungsstreitverfahren nach dem LVG. zu-
trifft, ist doch zu beachten, daß bei der positiven
Gestaltung dieses Verfahrens das beteiligte
5. J. grundsätzlich lediglich von dem- Verwal-
tungsgerichte selbst und von der Behörde, die
in dem einzelnen Falle Partei ist, wahrzunehmen
ist (§ 74 Abs. 1). Nur ausnahmsweise hat das
Gesetz eine besondere Wahrnehmung vorgesehen;
insoweit ist dann jedenfalls eine Beteiligung des
5. J. anzuerkennen. Es kann oder muß unter
gewissen Umständen nämlich ein besonderer
Kommissar zur Wahrnehmung des ö. J. bestellt
werden (s. Kommissar im Verwal-
tungsstreitverfahren). Außerdem ist
noch im Verwaltungsstreit= und ebenso im Be-
schlußverfahren eine Einlegung von Rechts-
mitteln (Berufung, Revision, Beschwerde) aus
Gründen des ö. J. möglich, wodurch der Vor-
sitzende für die Rechtsmittelinstanz die Stellung
einer Partei, beim Beschlußversahren die eines
Beteiligten erlangt (LV. g8 82, 83, 90, 91, 93,
123). In entsprechender Weise gibt es in Staats-
steuersachen Rechtsmittel der Vorsitzenden (Eink-
St G. § 43; Erg St G. § 33; GewsStG. §§ 36,
37, Warenhaus St G. § 13) und in Ansiedlungs-
sachen eine Beschwerde aus Gründen des ö. J.
nach § 18 Abs. 4 des G. vom 10. Aug. 1904
(GS. 227). In den Armenstreitsachen gibt es
keine Berufung an das Bo. im ö. JI
Fleiner, Einzelrecht und öffentliches Interesse.
Offentliches Recht, auch Staatsrecht im
weiteren Sinne genannt, ist derjenige Teil des
Rechtes im obiektiven Sinne, welcher die öffent-
lichen Verhältnisse zum Gegenstande hat (s.
Privatrecht). Diese Verhältnisse können
regelmäßig nicht in das Belieben der einzelnen
gestellt und ihrer freien Vereinbarung über-
lassen werden. Das 5. R. hat deshalb meist die
Eigenschaft von zwingendem, absolutem Recht
(jus cogens). Es zerfällt in das Staatsrecht
oder ö. R. im engeren Sinne, bestehend aus dem
Verfassungsrecht (Staatsrecht im engsten Sinne),
welches die Träger und Organe der Staats-
gewalt, die Rechte und Pflichten derselben und
die Formen, die Richtung und die Grenzen ihrer
Tätigkeit betrifft, und dem Verwaltungsrecht,
d. i. dem Inbegriff der für die Ordnung der
verwaltenden Staatstätigkeit maßgebenden
Rechtsgrundsätze — beide im Verhältnisse zu-
einander mit fließenden Grenzen —, in das
Kirchenrecht, in das Strafrecht und in das Pro-
zeßrecht, neben denen dann noch das Völkerrecht
steht. Darüber, ob es entsprechend den subiektiven
Privatrechten auch subjektive ö. R. gibt, wird ge-
stritten. Sie dürften sich aber jedenfalls nicht
vollständig verneinen lassen, wenn auch auf dem
Gebiete des 5. R. im objektiven Sinne die
Pflichten bei weitem die Rechte im subjektiven
Sinne überwiegen, und, soweit es subiektive
5. R. gibt, überragen sie regelmäßig die sub-
jektiven Privatrechte, obschon deren Zahl viel
größer ist, doch an Wichtigkeit. Mehrfach ist ver-
sucht worden, zwischen das öffentliche und das
Privatrecht ein Sozialrecht als selbständigen
Rechtsteil einzuschieben oder das 5. R. einem
solchen Sozialrecht unterzuordnen. Vgl. die Art.
Staatsrecht und Verwaltungsrecht.
Die meisten Lehrbücher des Staatsrechts und des Ver-
waltungsrechis in ihrem allgemeinen Teile und die Juristi.
schen Cuzuklopädien, z. B. die von Merkel, 1909, 88 81ff.;
107 ff., 259, 752: Jellinek, Laband und Piloty,
Das öffentliche Recht der Gegenwart und Jahrbuch des
öffentlichen Rechts:; Archiv für össentliches Rocht: auch
Jellinek, Snystem der subiektiven öffentlichen Rechte,
1995 v. Kampt-Delius, Die Rechtsprechung des
Reichs, und des Kammergerichts auf den Gebieten des
öffentlichen Rechts: HLalbey, ber Begriff und Wesen
des öfsentlichen Rechte, im Verm Arch. 4, 129; Schepp,
Das össontliche Recht, im BSGB.: Fleiner, Uber die
Mmbildung zivilrechtlicher Institute durch das öffentliche
Offentlichkeit in der Rechtspflege und in
verwandten Gebieten. I. Die altgermanische
Offentlichkeit des Gerichtsverfahrens fiel fort,
als die mit ihr zusammenhängende Mündlich-
keit (#. Mündliche Verhandlung I)
durch die Schriftlichkeit des gemeinen deutschen
Prozesses verdrängt wurde, ist aber, der Offent-
lichkeit der Verhandlungen der parlamentarischen
und anderer öffentlichrechtlicher Körperschaften
entsprechend, im modernen Zivil= und Strafpro-
zesse mit der Wiederein führung der Mündlichkeit
des Verfahrens wieder hergestellt worden. Sie
ist verschieden von der sog. Parteiöffent-
lichkeit, d. h. dem Rechte der Beteiligten,
allen Verhandlungen im Prozesse, namentlich
auch den Zeugenvernehmungen und der sonstigen
Beweisaufnahme, beizuwohnen und Einsicht in
die sich auf den Prozeß beziehenden Schriftstücke
zu nehmen, und bedeutet vielmehr, daß grund-
sätzlich jedermann mit den durch die Raumver-
hältnisse gebotenen Beschränkungen Zutritt zu
den gerichtlichen Verhandlungen hat. Diese
Offentlichkeit, sog. Offentlichkeit für das
Volk, gehört nicht zum Wesen des Prozesses,
sondern soll nur als eine Art Kontrolle der
öffentlichen Meinung das allgemeine Vertrauen
zur Rechtspflege stärken. Sie gilt niemals für die
Beratung und die Abstimmung (s. diese Artikel).
Aber auch hinsichtlich der Verhandlungen kann
sie für gewisse Arten von Prozessen oder für
Teile von Prozessen entweder von Amts wegen
oder auf Antrag ausgeschlossen werden; mit-
unter muß dies geschehen. Die Verkündung
des Urteils hat stets nach Wiederherstellung der
ausgeschlossenen Offentlichkeit öffentlich zu er-
folgen. Nach der allgemeinen, für alle Gerichts-
verhandlungen geltenden Vorschrift des § 184b
StEG# B. (G. vom 25. Juni 1900 — RGBl. 301)
wird mit Geldstrafe bis zu 300 K oder mit Ge-
fängnis bis zu sechs Monaten bestraft, wer aus